Full text: [Bd. 1, [Schülerband]] (Bd. 1, [Schülerband])

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— Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun 
hatte, und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache 
vberstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, 
sagte kurz und schnauzig: Kannitverstan; und schnurrte vorüber. 
Dies war nun ein holländisches Wort oder drei, wenn man's recht 
betrachtet, und heißt auf Deutsch so viel, als: ich kann nicht verstehn. 
Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, 
nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, 
der Herr Kannitverstan, dachte er und gieng weiter. Gaß aus, 
Gaß ein, kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, 
oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff, 
und Mastbaum an Mastbaum; und er wußte anfänglich nicht, wie 
er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese 
Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein 
15. großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem 
aus Ostindien angelangt war, und jetzt eben ausgeladen wurde. 
Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf und neben— 
einander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, 
und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er 
20. aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine 
Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, 
dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe. Kannit— 
verstan, war die Antwort. Da dachte er: haha, schaut's da heraus? 
Kein Wunder! wem das Meer solche Reichthümer an das Land 
schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen, und solcherlei 
Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt gieng er 
wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich 
selbst an, was er für ein armer Mensch sei unter so viel reichen 
Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte, wenn ich's doch nur 
auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, 
kanmi er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Vier 
schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen 
Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen 
Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und 
Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt 
in schwarze Mäntel, und stumm. In der Ferne läutete ein ein— 
sames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremden ein wehmüthiges 
Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er 
eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen 
40. andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich 
an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, 
was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Centner 
um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und 
bat ihn treuherzig um Entschuldigung. Das muß wohl auch ein 
guter Freund von Euch gewesen sein, sagte er, dem das Glöck— 
lein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenkend mitgeht. Kannit— 
verstan! war die Antwort. Da fielen unsrem guten Tuttlinger 
ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward ihm auf 
einmal schwer und wieder leicht um's Herz. Armer Kannitverstan, 
10. 
16.
	        
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