Full text: [Bd. 1, [Schülerband]] (Bd. 1, [Schülerband])

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231. Wozu Unglück dienen kann. 
„Er befreit von der schädlichen Pestilenz, die in der Finsterniß 
wandelt, und von dem Verderben, das um Mitternacht droht. Er 
verwandelt unsre Klage in Freude und unser Ungemach in dauern— 
des Glück. Wohl dem, der den Gott Jakobs zu seiner Hülfe hat 
und auf den Herrn, seinen Gott, baut!“ 
So dachte Rabbi Akiba, als ihn eine heftige Verfolgung nö— 
thigte die Heimath zu verlassen, und er durch dürres Land und 
traurige Einöden wandelte. Nichts hatte er bei sich, als eine Lampe, 
welche ihm des Nachts leuchtete, wenn er das Gebet las, und 10. 
einen Hahn, der ihm statt einer Uhr diente und ihm die anbrechende 
Morgenröthe verkündete, und einen Esel, auf welchem er ritt. 
Schon sank die Sonne am Himmel herab, und die Nacht kam 
herauf, und der arme Wanderer wußte nicht, wo er sein Haupt 
hinlegen und die müden Glieder stärken sollte, als er an ein Dorf 
kam und sich freuete, weil er glaubte, daß Mitleid und Nächsten— 
liebe wohne, wo Menschen seien. Er bat, daß sie ihn die Nacht be— 
herbergen möchten, ward aber hinausgewiesen. Nicht einer wollte 
ihm seine Hütte öffnen, und er mußte im nahen Walde eine Stätte 
suchen. „Das ist hart, sehr hart!“ seufzte er. „Kein Dach zu 
finden, das mich gegen den Sturm und gegen den Regen schützt! 
Doch der Herr ist gerecht, und was er thut, das ist wohlgethan!“ 
Und er setzte sich unter einen Baum und zündete seine Lampe an, 
und fieng an, im Gesetz zu lesen. Als er aber ein Capitel beendigt 
hatte, blies ein heftiger Wind ihm die Lampe aus. „Wie?“ rief 
er, „so soll es mir nicht vergönnt sein, im Gesetze zu lesen? Doch 
der Herr ist gerecht, und was er thut, ist auch wohlgethan!“ 
Und er legte sich nieder auf die Erde und wollte schlafen. Es 
kam aber, als er kaum die Augen geschlossen hatte, ein Wolf und 
zerriß seinen Hahn, und erschrocken rief Akliba: „welch' neues Un- 30. 
glück ist dies? Mein treuer Gefährte ist dahin! Wer wird mich wecken 
hinfort zu lesen im Gesetze des Herrn? Doch der Herr ist gerecht, 
und was er thut, ist auch wohlgethan!“ Kaum hatte er das Wort 
gesprochen, als ein grimmiger Leu herbeisprang und seinen Esel 
tödtete. „Was soll ich nun beginnen,“ klagte der einsame Wan- 35. 
derer. „Meine Lampe und mein Hahn — mein Thier — alles — 
alles ist dahin! Doch — gelobt sei der Herr, denn was er thut, 
ist auch wohlgethan!“ 
Schlaflos verbrachte er die Nacht, und früh am Morgen wan— 
delte er zum Dorfe, um sich ein anderes Thier zu kaufen, das ihn 40. 
trüge. Doch eine Räuberbande war in der Nacht in das Dorf 
gefallen und hatte alle getödtet und ihre Habe geraubt. Als Akiba 
sich von dem Schrecken erholt hatte, erhob er seine Stimme und 
betete laut: Herr Gott Abrahams, Isaals und Jakobs, jetzt erkenne 
ich, wie blöde und kurzsichtig der Mensch ist, und wie das Unglück 
selbst zu seinem Frieden dient! Du ällein bist gerecht und gütig 
und barmherzig! Sie trieben mich hinaus, und darum theilte ich 
nicht ihr Schicksal. Der Wind löschte meine Lampe aus, denn die 
5.
	        
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