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regieren wie den breiten Korb mit Gemüse und Milch auf dem Kopf
zu tragen. Auf mächtigen Flößen schwimmen kräftige Männer den
Strom hinab, als wollten sie die Schiffahrt in der einfachen Weise
noch zeigen. Eine ganze Reihe von Bretterzelten haben sie auf
ihrem Floße aufgeschlagen, das sie Tag und Nacht nicht verlassen.
Vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Untergang ist es lebendig
auf dem Strome. Wenn der Tag graut und der Morgennebel sich
vom Flusse erhebt, ertönt schon die Schiffsglocke in die Talschluchten
hinein. Eilig kommen die Säumigen gelaufen um die Abfahrt nicht
zu verfehlen, und wenn die ersten Sterne am Himmel funkeln,
plätschern noch immer die Räder der Dampfschiffe. Laternen mit
rotem und grünem Scheine werden an dem Mast in die Höhe gehißt
und nicht eher wieder herabgelassen, als bis das Schiff seinen Be¬
stimmungsort wieder erreicht hat. Und wenn alles auf dem Flusse
schweigt, so wird er zuletzt noch beleuchtet. Bis spät in die Nacht
hinein fällt nämlich der Schein von tausend und aber tausend Lichtern
am ganzen Ufer entlang aus den Wohnungen der Menschen in die
Wellen des Flusses. So nahe und sorglos reiht sich Stadt an Stadt
und Dorf an Dorf den Fluß entlang.
Karl Gilde. Vaterland. Lesebuch. Magdeburg.
Vgl. Geistbeck-Engleder, Geogr. Typenbilder Nr. 8 (Der Rheindurchbruch bei
Bingen) oder Hölzel, Geogr. Charakterbilder Nr. 37 (Der Rhein bei St. Goar) oder
Lehmann, Geogr. Charakterbilder Nr. 2 (Rhein b. Bingen) oder Voigtländer, Künstler-
steinzeichnungen Nr. 108 (Rhein b. Bingen).
118. Die Weinlese am Rhein.
1. Reben und Rhein, sie gehören zusammen seit Jahrhunderten.
Den edlen Rüdesheimer Wein ließ, wie die Sage erzählt, der Kaiser
Karl selbst anpflanzen. Einst schaute der Kaiser, es war im Monat
März, von seinem prachtvollen Palaste zu Ingelheim hinab auf den
Strom und die rechtsrheinischen Höhen und gewahrte, wie bei
Rüdesheim am Berge der Schnee zuerst weggeschmolzen war. Da
ließ er aus fernen Landen edle Reben kommen und dort anpflanzen;
daraus ist der vortreffliche Rüdesheimer Bergwein entstanden. Heute
noch läßt die Sage den alten Kaiser aus seiner Gruft zu Aachen
zum Rheine heraufschreiten und die Reben am Strome segnen.
So ist das Rheinland geworden zum Weinland und aller Wohl¬
stand des Landes, alle Behaglichkeit des Lebens und Verkehrs hängt
in diesem Gebiete ab von dem günstigen Ausfall der Weinernte; da¬
her beginnt im Spätherbste, der eigentlichen Erntezeit am Rhein,
hier ein doppeltes Leben.
Am ganzen Strome wird der Beginn der Traubenlese, welcher
zwischen Anfang Oktober und Ende November je nach der Trauben¬
reife wechselt, von dem Ortsvorstande in Gemeinschaft mit den größeren
Besitzern auf einen bestimmten Tag festgesetzt. Bis zu diesem Augen¬