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Das eine Spiel heißt: „Der reisende Deklamator." Einer aus der
Gesellschaft setzt sich auf einen in der Mitte des Zimmers stehenden Stuhl.
Auf seinem Schoße nimmt ein anderer Platz, der irgend ein ernsthaftes oder
komisches Gedicht vorträgt, wobei er die Arme schlaff herabhängen läßt. Der Witz
besteht nun darin, daß der auf dem Stuhle Sitzende seine Hände in Bewegung
setzt und damit alle zur Deklamation nötigen Gesten (Bewegungen) macht. Dabei
darf er sich manches erlauben, was der Vortragende selbst nicht tun dürfte:
er zieht das Schnupftuch aus der Tasche, wischt ihm damit den Schweiß von
der Stirn oder die Tränen aus den Augen, kurz, er muß bemüht sein durch
scherzhafte Bewegungen auf alle Weise den Vortrag lächerlich zu machen.
Ebenso schnurrig ist das „Bänderspiel", welches wir gestern abend bei
Tante Lina spielten. Jedes Mitglied der Gesellschaft hält das eine Ende
eines 1—IV2 m langen Bandes in der rechten Hand; das andere Ende aller
dieser Bänder vereinigt der Leiter des Spiels in seiner Hand. Sobald er
sagt: „Laßt los!" so müssen alle Mitspielenden die Bänder straff anziehen;
sagt er hingegen: „Zieht an!" so müssen alle sie loslassen. Wer fehlt und
das tut, was befohlen war, muß ein Pfand geben. Unaufmerksamkeit ver-
ursacht bei diesem Spiele großen Spaß.
Sollten diese beiden Spiele Deinen und Deiner Freunde Beifall finden,
so würde mir's sehr lieb sein. Gern würde ich Dir dann auf Verlangen
einige andere mitteilen.
Grüße alle Mitspielenden bestens von
Deinem
Friedrich.
Nr. 136-140 aus:
Karl Jul. Krumbach. Deutsche Aufsätze. Bd. III: Briefe. Leipzig >892. S. 74, 89, 143,147, 134.
141. Herder an seine Kinder.
Bozen den 1. September 1788.
Alle meine lieben Kinder, Gottfried, August, Wilhelm, Adelbert, Luischen
und Emil!
Ich bin jetzt nah an den Grenzen Deutschlands und habe die großen
Tiroler Berge beinahe zurückgelegt. Es sind hohe Berge; auf einigen war
viel Schnee und die sogenannte Pforte oder Klause, dadurch man nach Tirol
kommt, ist besonders wild, schön und prächtig. Auch die Martinswand sind
wir vorbeigekommen, wo der Kaiser Maximilian sich verstieg, und haben in
Innsbruck mitten in der Kirche ein sehr schönes Monument auf ihn gesehen,
davon ich auch mündlich erzählen werde.
Jetzt bin ich nun in Bozen, wo heut eine unsägliche Menge Volks ist,
weil neunzehntausend Kinder gefirmelt werden sollen, da der Bischof in vielen
Jahren nicht gefirmelt hat. Da ist nun vor unserm Wirtshause zur Sonne
ein solcher Obstmarkt, als Ihr in Euerm Leben nicht gesehen habt, Birnen,
Zwetschgen, Weintrauben, Nüsse, Feigen; denn hier wachsen schon Feigen und
bald werden wir auch dahin kommen, wo die Pomeranzen- und Zitronenbäume
wachsen. O, daß Ihr hier mit mir wäret oder ich Euch einen Korb solchen