Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

Das Wasser scheint nicht tief; sprang' ich hinein, 
10 Es könnte sein, daß sich's durchwaten ließe. 
Doch nein, der Grund ist Moor; versank' ich drein, 
Ich käm' wohl gar nicht wieder auf die Füße. 
Hm, hm — ach was! Nur Mut, es wird schon gehn!" 
Kaum springt er an, so bleibt er wieder stehn. 
15 „Es ist unmöglich. Weiter oben dort 
Kommt mir das Wasser schon viel schmaler vor; 
Dort sei's probiert!" Schon geht der Zaudrer fort, 
Da tönt des Jagdhunds Lechzen an sein Ohr. 
Er blickt sich um — o weh, hier naht der Grimme! 
20 Rasch setzt er an und schwingt mit aller Macht 
Sich übern Graben. „Hätt' ich das gedacht!" 
Spricht er und eilt, indes des Feindes Stimme 
Dem Flüchtigen bald fern und ferner schallt, 
Froh übers Blachfeld in den sichern Wald. 
Viktor Blüthgen. 101 neue Fabeln. Hrsg. v. Frida Schanz. Leipzig 1888. S. 40. 
145. Zucht. 
„Nicht lass' ich mich zäumen!" 
Schäumt wütend das Pferd; 
„Ich werde mich bäumen, 
Mich wälzen zur Erd'. 
5 Und wenn sie mich schlagen, 
Zerreiß' ich den Wagen 
Und stürze seldein 
Durch Klüst' und Gestein; 
Denn besser zu sterben 
10 Als knechtisch verderben." — 
„Gern ließ ich mich zügeln," 
Entgegnet der Springer, 
„Und Schläge und Stich' 
Verschoneten mich. 
15 So ward ich ein Ringer 
Und lernte beflügeln 
Mich selber zum Ziel. 
Viel besser gefiel 
Mir Zucht zu erwerben 
20 Denn zuchtlos verderben." 
Abr. Eman. Fröhlich. A.a.O.S.Lv. 
146. Der wilde Eber und die 
Ferkel. 
Den Keiler sahn sein Hauerpaar 
Die Ferkel an der Eiche wetzen 
Und alle riefen mit Entsetzen: 
„Wie, Vater, drohet uns Gefahr?" 
Der Vater sprach: „Nicht, daß ich's 
wüßte; 
Allein es wäre viel zu spät, 
Falls ich, wenn die Gefahr entsteht, 
Erst meine Waffen schleifen müßte." 
Gottl. Konr. Pfeffel (vor 1761). Poet. 
Versuche. Tübingen 1804 *. T. VII. S. 14. 
147. Der Ochs und der Esel. 
1. Ochs und Esel zankten sich 
Beim Spaziergang um die Wette, 
Wer am meisten Weisheit hätte. 
Keiner siegte, keiner wich. 
2. Endlich kam man überein, 
Daß der Löwe, wenn er wollte, 
Diesen Streit entscheiden sollte. 
Und was konnte klüger sein? 
3. Beide reden tiefgebückt 
Vor des Tierbeherrschers Throne, 
Der mit einem edlen Hohne 
Auf das Paar herunterblickt. 
4. Endlich sprach die Majestät 
Zu dem Esel und dem Farren: 
„Ihr seid alle beide Narren!" 
Jeder gafft ihn an und geht. 
Gottl. Konr. Pfeffel (1765). Fabeln. 
Hrsg. v. Miror. Kürschners Nat.-Lit. Bd. 73. S. 64 f. 
Deutsches Lesebuch für bayer. Mittelschulen. Bd. II. 3. Aufl. 
12
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.