Full text: [Teil 5 = Mittelstufe, Dritte Abteilung (Sechstes Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 5 = Mittelstufe, Dritte Abteilung (Sechstes Schuljahr), [Schülerband])

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157. Der Schlaf. 
Johaun Gottfried von Herder. Sämtliche Sehriften. Herausgeg. v. Bernhard Suphan. 
Berlin. 1877. ff. Weidmannsehe Buehhh. XXVIII. S. 133. 
In jener Schar unzählbarer Genien, die Jupiter für seine Menschen 
erschaffen hatte, um durch sie die kurze Zeit ihres mühseligen Lebens zu 
beglücken und zu vergnügen, war auch der dunkle Schlaf. „Was soll 
ich,“ sprach er, da er seine Gestalt ansah, „unter meinen glänzenden, ge— 
fälligen Brüdern? Welches traurige Ansehn habe ich im Chor der Scherze, 
der Freuden und aller Gaukeleien des Amors! Mag es sein, daß ich den 
Unglücklichen erwünscht bin, denen ich die Last ihrer Sorgen entnehme und 
sie mit milder Vergessenheit tränke. Mag es sein, daß ich dem Müden 
gefällig komme, den ich doch auch nur zu mühseliger, neuer Arbeit stärke. 
Äber denen, die nie ermüden, die von keiner Sorge des Elendes wissen, 
denen ich immer nur den Kreis ihrer Freuden störe?“ — 
„Du irrst,“ sprach der Vater der Genien und Menschen; „in deiner 
dunklen Gestalt wirst du aller Welt der liebste Genius werden. Denn 
glaubst du nicht, daß auch Scherze und Freuden ermüden? Wahrlich, sie 
ermüden früher als Sorge und Elend und verwandeln sich dem satten 
Glücklichen in die langweiligste Trägheit.“ 
„Aber auch du,“ fuhr er fort, „sollst nicht ohne Vergnügungen sein; 
ja in ihnen oft das ganze Heer deiner Brüder übertreffen.“ Mit diesen 
Worten reichte er ihm das silbergraue Horn anmutiger Träume. „Aus 
ihm,“ sprach er, „schütte deine Schlummerkörner, und die glückliche Welt 
sowohl, als die unglückliche wird dich über alle deine Brüder wünschen 
und lieben. Die Hoffnungen, Scherze und Freuden, die in ihm liegen, 
sind von deinen Schwestern, den Grazien, mit zauberischer Hand von 
unsern seligsten Fluren gesammelt. Der ätherische Tau, der auf ihnen 
glänzet, wird einen jeden, den du zu beglücken denkst, mit seinem Wunsch 
erquicken, und da sie die Göttin der Liebe mit unserm unsterblichen Nektar 
besprengt hat, so wird die Kraft ihrer Wollust viel anmutiger und feiner 
den Sterblichen sein als alles, was ihnen die arme Wirklichkeit der Erde 
gewährt. Aus dem Chor der blühendsten Scherze und Freuden wird man 
fröhlich in deine Arme eilen; Dichter werden dich besingen und in ihren 
Gefängen dem Zauber deiner Gunst nachbuhlen; selbst das unschuldige 
Mädchen wird dich wünschen, und du wirst auf ihren Augen hangen, ein 
süßer, beseligender Gott.“ — 
Die Klage des Schlafs verwandelte sich in triumphierenden Dank, und 
ihm ward die schönste der Grazien, Pasithea, vermählt. 
Georgq· Eokort· Institut 
für intornationalo 
Schulsbuchtorsohunq 
Braunscehwoig 
Scohubuiehnbroher.
	        
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