Der einsame Esser.
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für fünf Platz ist. Er nahm von manchen Gerichten zweimal, aber
wenn er sich eine Schüssel zum drittenmal anbot, dann dankte er
verbindlich und setzte sie wieder hin. Nach Tische legte er sauber
seine Serviette zusammen, erhob sich feierlich und ging wieder hinaus
an die Arbeit.
„Aber Herr Krüger,“ so werdet ihr ausrufen, „warum machen
Sie sich’s denn nicht bequem — Sie sind doch ganz allein, wozu
denn alle die feinen Manieren und das Waschen und Nägelputzen?
Wer hat denn davon etwas? Lassen Sie sich doch ein bißchen gehen,
verehrter Herr!“
Da würdet ihr schön ankommen bei Herrn Krüger. „Seid ihr
vielleicht nur dann ehrlich, wenn euch gerade jemand auf die Finger
sieht?“ so würde er fragen. „Wenn’s nach euch ginge, sollt’ ich
mich wohl in der Badehose an den Tisch setzen und mit den Fingern
essen, he? Meint ihr denn wirklich, feine und saubere Manieren seien
nur ein Schaustück für andere und nichts für uns selbst? Dann
wundert ihr euch auch vielleicht, daß ich einen Blumenstrauß auf dem
Tisch habe, obwohl ich bloß allein dasitze? Ich sage euch, mit sauberen
Händen und bescheidenen Bewegungen schmücke ich mir mein Essen
mehr als mit den schönsten Rosen. Was hilft das duftigste Bukett,
wenn man dazu schmatzt und Flecken herumspritzt und mit schmutzigen
Händen über den Schüsseln schwebt? Das ist dasselbe, als wenn eine
Kuh in einem Levkojenbeet grasen würde. Ja, das wäre dasselbe!“
So würde euch Herr Krüger antworten — denn er antwortet
ebenso gründlich, wie er sich die Hände wäscht. Und Herr Krüger
hat recht. Wer den Anstand nur um der andern willen übt, der ist
nur ein äußerlich lackierter Mensch: Herr Krüger pflegt seine feinen
und reinlichen Manieren, weil seine Seele danach verlangt. Die Seele
spürt nämlich alles, was draußen vorgeht, wie die Schwalbe den Früh¬
ling spürt und die Herbstluft. Und sie möchte Anmut und Reinheit
nicht nur in ihrem Innern, sondern auch in ihrer ganzen Umgebung
haben — sie möchte in guter Gesellschaft sein.
Und ich glaube, feine und säuberliche Manieren wirken auf den
ganzen Menschen wie ein Alpenkurort auf die Lungen. Das gierige
Zufahren aber und das ungewaschene Wesen und die großen Suppen¬
flecke und das Hinflegeln und das lärmende Essen — wenn das nicht
allmählich den ganzen Menschen und all sein Handeln und Denken
ansteckt, dann müßte es wirklich nicht mit rechten Dingen zugehen
in der Welt.
Friedrich Wilhelm Förster.