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wickelt sie den Faden mit ihren Füßen zu einem Knäuel und
windet sich wieder in die Höhe.
Die Hausspinne macht sich ihr Gewebe in die Ecken der
Stuben, Kammern und Ställe. Wie fein ist ein solches Gewebe!
Es ist mit Fäden an den Wänden befestigt. Aber ich sehe die
Spinne nicht. Wo ist sie? Sie sitzt am Ende des Gewebes in
einer trichterförmigen Zelle. Damit sie es aber sogleich merkt,
wenn eine Fliege in ihr Gewebe kommt, so hat sie vom Rande
des Gespinstes bis zu ihrer Zelle lange Fäden gespannt. An—
dere Spinnen machen ordentliche Netze, die sie zwischen den
Bäumen und anderen Dingen ausspannen. Man nennt sie
Kreuzspinnen, weil sie auf dem Rücken die Gestalt eines Kreuzes
haben. Eine Kreuzspinne macht ihr Netz mit solcher Kunst und
Geschicklichkeit, daß wir billig darüber erstaunen. Hat sie es
fertig, so setzt sie sich in die Mitte ihres Sommerhäuschens
unter dem freien Himmel. Sie wartet nun geduldig und muß
oft lange hungern. Merkt sie an dem Zittern des Netzes, daß
sich eine Fliege gefangen hat, so eilt sie herbei, umwickelt die
Fliege mit Fäden, daß sie sich nicht wehren und rühren kann,
sticht ihr die zwei Freßzangen in den Leib und saugt ihr den
Saft aus. Ist sie gerade nicht hungrig, so hängt sie den Fliegen⸗
braten in ihre Speisekammer.
84. Ein Tierchen sei auch noch so klein,
es kann dem Menschen nützlich sein.
Ein junger Prinz sagte öfter: „Wozu hat doch wohl Gott
die Fliegen und Spinnen erschaffen! Dergleichen Ungeziefer
nützt ja keinem Menschen etwasl Wenn ich nur könnte, ich ver—
tilgte alle von der Erde.“
Einst mußte der Prinz im Kriege vor dem Feinde flüchten.
Ermüdet legte er sich abends im Walde unter einem Baume
nieder und entschlief. Ein seindlicher Soldat schlich mit gezüctem
Schwert auf ihn zu, um ihn zu ermorden. Allein plößlich kam
eine Fliege, setzte sich dem Prinzen auf die Wange und stach ihn
so heftig, daß er erwachte. Er sprang auf, zog sein Schwert, und
der Soldat entfloh.
Der Prinz verbarg sich nun in einer Höhle des Waldes
Eine Spinne spannte in der Nacht ihr Netz vor dem Eingange
der Höhle aus. Am Morgen kamen zwei feindliche Soldaten,
die ihn suchten, vor die Höhle. Der Prinz hörte sie mit einander
reden. „Sieh,“ rief der eine, „da hinein wird er sich versteckt
haben!“ „Nein,“ sagte der andere, „da drinnen kann er nicht