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und Bratspieße ins Feuer. Nun wurden alle Hunde auf das Tier losgelassen;
Siegfried aber lief ihm nach und erstach es mit seinem Schwerte. Alle Jagd¬
genossen bewunderten Siegfrieds reiche Beute und priesen ihn als den kühnsten
Jäger. Als man sich zu Tische setzte, war Speise genug vorhanden, aber es
fehlte an Wein. Und doch war nach dem heißen Tage und den Mühen
der Jagd der Durst fast noch größer als der Hunger. Besonders Siegfried
war ungehalten, daß so schlecht für die Jäger gesorgt sei. König Günther schob
die Schuld auf Hagen, und dieser sagte, er habe den Wein in den Spessart
geschickt, weil er geglaubt habe, dort solle die Jagd stattfinden; doch er wisse
einen kühlen Brunnen in der Nähe, dahin wolle er sie führen.
d. Siegfried wünschte alsbald zu dem Brunnen zu eilen. Da sprach der
falscheHagen: „Laßt uns um die Wette laufen, damit wir sehen, ob Siegfried
wirklich auch an Schnelligkeit alle andern übertrifft!" Bereitwillig ging der
Held auf diesen Vorschlag ein; ja, er erbot sich sogar mit Speer und Schild
zu laufen; Günther und Hagen dagegen sollten ihre Jagdrüstung ablegen.
Der Wettlauf begann; in großen Sprüngen eilten die drei Helden über den
grünen Anger, doch bald gewann Siegfried einen Vorsprung und kam lange
vor den beiden andern an der Quelle an. Dort lehnte er seine Waffen an eine
Linde und wartete, wie sehr ihn auch dürstete, bis der König zuerst getrunken
hätte. Diese Bescheidenheit ward sein Verderben. Als Günther seinen Durst
gestillt hatte und darauf Siegfried sich über die Quelle beugte, trug Hagen
hinter des Helden Rücken sein Schwert beiseite. Dann ergriff er den Speer
und bohrte ihn dem Liegenden an der verwundbaren Stelle tief in den Rücken.
Ein starker Blutstrahl sprang aus der Wunde hervor. Tobend vor Schmerz
raffte sich Siegfried auf; hätte er sein Schwert zur Hand gehabt, so wäre
Hagen nicht mit dem Leben davongekommen. Da er es aber nicht fand, faßte
er seinen Schild und eilte dem Meuchelmörder nach; trotz der tödlichen Wunde
holte er ihn ein und schlug ihn so gewaltig, daß Hagen betäubt zu Boden sank.
Doch jetzt verließ auch Siegfried die Kraft; er fiel nieder und färbte Gras
und Blumen mit seinem Blute rot. „Ihr feigen Meuchler", rief er aus,
„lohnt ihr mir so meine treuen Dienste, daß ihr mich erschlagt?" Mittlerweile
war das Jagdgefolge herangekommen; sie umstanden den Sterbenden und
beklagten laut die unselige That. Auch Günther begann zu weinen. Aber
Siegfried blickte ihn verächtlich an und sagte: „Dem, der das Unheil ver¬
schuldet hat, stehen die Thränen übel an. Ich rettete Euch Leben und Ehre in
großer Not; das muß ich so entgelten!" Dann beschwor er den König sich der
armen Kriemhild und ihres unmündigen Sohnes zu erbarmen. „Wehe", rief
er mit brechender Stimme, „einst werdet ihr diesen Mord bitter bereuen!"
Nach diesen Worten sank er zurück, wand sich in Schmerzen und hauchte sein
Leben aus. Als Günther und seine Mannen sahen, daß Siegfried verschieden
war, legten sie ihn auf seinen Schild und berieten, wie man die Mordthat
vor Kriemhild verbergen könne. Einige meinten, man solle sagen, Siegfried