Full text: [Theil 4, [Schülerband]] (Theil 4, [Schülerband])

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132. Das brave Mütterchen. 
Es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen 
die Husumer ein großes Fest feiern; sie schlugen Zelte auf 
und Alt und Jung, die ganze Stadt versammelte sich draußen.' 
Die Einen liefen Schlittschuh, die Andern fuhren in Schlitten, 
und in den Zelten erscholl Musik, und Tänzer und Tänzerinnen 
schwenkten sich herum, und die Alten saßen an den Tischen und 
tranken Eins. So verging der ganze Tag, und der helle Mond 
ging auf; aber der Jubel schien erst anzufangen. 
Nur ein altes Mütterchen war von allen Leuten allein in 
der Stadt geblieben. Sic war krank und gebrechlich und konnte 
ihre Füße nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem 
Deiche stand, konnte sie von ihrem Bette aus aufs Eis hinaus 
sehen und die Freude sich betrachten. Wie es nun gegen den 
Abend kam, da gewahrte sie, indem sie so auf die See hinaus 
sah, im Westen ein kleines weißes Wölkchen, das eben an der 
Kimmung*) aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst; sie 
war in früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und 
verstand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete^nach: 
in einer kleinen Stunde wird die Fluth da sein, dann ein Sturm 
losbrechen, und alle sind verloren. Da rief und jammerte sie 
so laut als sie nur konnte; aber Niemand war in ihrem Hause, 
und die Nachbarn waren alle auf dem Eise; Niemand hörte sie. 
Immer größer ward unterdes die Wolke und allmählich immer 
schwärzer; noch einige Minuten, und die Fluth mußte da sein, 
der Sturm losbrechen; da rafft sie all' ihr bißchen Kraft zusam¬ 
men und kriecht auf Händen und Füßen aus dem Bette zum 
Ofen. Glücklich findet sie noch einen Brand, schleudert ihn in 
das Stroh ihres Bettes und eilt, so schnell sie kann, hinaus, sich 
in Sicherheit zu bringen. Das Häuschen stand nun augenblicklich 
in hellen Flammen, und wie der Feuerschein vom Eise aus 
gesehen ward, stürzte Alles in wilder Hast dem Strande zu. 
Schon sprang der Wind auf und fegte den Staub aus dem Eise 
vor ihnen her; der Himmel ward dunkel, das Eis fing an zu 
knarren und zu schwanken, der Wind wuchs zum Sturm, und 
als eben die Letzten den Fuß aufs feste Land setzten, brach die 
Decke, und die Fluth wogte an den Strand. To rettete die 
arme Frau die ganze Stadt und gab ihr Hab und Gut daran 
zu deren Heil und Rettung. Müllenhoff. 
133. Die halbgefüllte Flasche. 
Als die Schweden in Flensburg waren, und die Bewohner 
gerade eine Schlacht gewonnen hatten, bekam ein gemeiner Sol¬ 
dat einen Wachtposten auf dem Schlachtfelde. Mit Mühe hatte 
1) Horizont, Gesichtskreis.
	        
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