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163. Die Anmut der Natur nach einem Gewitter.
Die finstern Wolken zerteilen sich, bestrahlt von einem glän¬
zender: Lichte; eine lächelnde Heiterkeit, die alles erfreut, breitet
sich am ganzen Himmel aus; sein blaues Gewand, von bunten
Streifen durchwebt, bricht hinter dem zurückwallenden Vorhänge
hervor und spiegelt sich wieder auf dem beruhigte:: Gewässer.
Flüchtige Schatten laufen über Thäler und Hügel und Wiesen,
von einem leichten Schimmer verfolgt; bald liegt die Landschaft
in einer sanften Dämmerung, bald erscheint sie wieder in einen:
goldenen Lichte. Wie dort der schöne Bogen sich über den Horizont
ausspannt, wie seine malerischen Farben in einem doppelten Ab¬
glanz spielen und in der klaren Flut der See wiederscheinen! Das
nahe, bejahrte Gebirge, das sein ehrwürdiges Haupt in die Wol¬
ken streckt, nimmt eine ungewöhnliche Freundlichkeit an, verjüngt
von der hellen Pracht, womit es der Bote des versöhnten Him¬
mels überstreut. Die gekühlten Lüfte tröpfeln noch von einigen
Regenstäubchen; die Gipfel der Berge und die erquickten Gefilde
schimmern weit umher von der Nässe der Wolken; die Gebüsche
blitzen in: Sonnenschein von kleinen Sternchen und regnen, von
gaukelnden Westen bewegt, von neuem den zu schweren Reichtum
der Tropfen herab. Das Gras, die Blumen, die in einer traurigen
Mattigkeit zu verwelken schienen, die ganze Natur fühlt die wohl¬
thätige Erfrischung; alle Gewächse heben sich wieder empor, und
das Grün der Felder reizt in einem helleren Schmuck. Die Wälder
erneuern ihre Freude; Scharen von Schwalben schwärmen wieder
im fröhlichen Fluge umher; die Herden schütteln die triefende
Wolle und blöken vor Wollust, und tausend kleine Stimmen
schwirren in den Wiesen. Der Wanderer verläßt segnend den
schützenden Baum und setzt munter seine Reise fort; der Landmann
eilt erfrischt wieder zu seiner Arbeit; alles lebt von neuem, alles
frohlockt über die angenehme Kühlung, und alle Kräuter gießen
Reichtümer von süßen Gerüchen aus. Hirschfeld.
164. Der Herbstabend.
b
Walther, der Sohn des Försters zu Tiefengrund, kam aus
der benachbarten Stadt, wo er die Schule besuchte, um die Michaelis-
ferien bei seinen Eltern zuzubringen. Er hatte frühmorgens die
Stadt verlassen und war den Tag über rüstig zugeschritten. Jetzt
näherte er sich dem Ziel seiner Reise, und wie eine freundliche
Vorbedeutung führte ihn der schönste Herbftabe::d in seine Heimat
ein. Der Himmel, welcher den Tag über mit jenem dünnen,