Full text: [Teil 1 = Für die unteren Kurse, [Schülerband]] (Teil 1 = Für die unteren Kurse, [Schülerband])

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Diener ein Hühnerei bringen lassen — so auf die Spitze zu stellen, 
daß es nicht umfällt?" Die Excellenz versuchte von der einen, 
wie von der andern Seite vergeblich, das Ei zum Stehen zu brin¬ 
gen. Der Nachbar bat es sich aus, es gelang ihm eben so wenig; 
nun drängten sich die andern dazu, ein jeder wollte den Preis 
gewinnen; allein weder mit Eifer, noch mit Ruhe war es mög¬ 
lich, das Kunststück auszuführen. „Es ist unmöglich!" riefen die 
Gäste, „ihr verlangt Unausführbares!" — „Und doch," sagte Ko¬ 
lumbus, „werden diese Herren sogleich sagen, das kann ein jeder 
von uns auch!" Jetzt nahn: er das Ei und setzte es mit einem 
leichten Schlage auf den Tisch, so daß es auf der eingedrückten 
Schale fest stand. — „Ja! das kann ein jeder von uns!" schrien 
sie jetzt zusammen. Seitdem hört man oft sagen, wenn eine glück¬ 
liche Erfindung gemacht wurde, zu welcher ein jeder sich klug d linkt: 
„Das Ei des Kolumbus!" Fr. Förster. 
121. Der Zahn und der Thaler. 
Ein deutscher Prinz machte mit seineur Vater mld seinen 
Brüdern eine Reise. Unterivegs bekommt er Zahnweh. Ein Wund¬ 
arzt ivird geholt und rät zum Ausziehen. Der Prinz erschrickt; 
aber da ihn sein Vater bei der Hand nimmt und ihm Mut ein- 
spricht, ist der Zahn ausgezogen, ehe er es gedacht hat. Zum 
Schmerzgeld wird ihm ein großer Thaler geschenkt. — Den Tag 
darauf kehren sie in einem Städtchen ein. Der kleine Prinz springt 
im Garten herum. Da kommt ein armer Mann und klagt ihm 
sein Leiden höchst beiveglich. Der Prinz schenkt ihm seinen Thaler. 
Run kommen auch noch andere Arme, und der Prinz gibt einem 
jeden etwas, so lange sein Wochengeld reichte. Wie nun das alle 
war, kommt noch eine arme, blinde Frau, gebückt, mit einem 
Stocke, woran sie ein kleines Mädchen führt, und stellt dem Prin¬ 
zen ihr Elend gar kläglich vor. — Der sucht und sucht; aber seine 
Taschen sind leer. Da sagt er der Frau, daß sie warten soll, 
läuft zu seinein älteren Bruder und bittet ihn um einen Thaler. 
— Der wundert sich und sagt: „Du hast ja einen." „Ja, der 
ist fort." — „Aber wie willst du mich denn wieder bezahlen? Du 
bist mir so noch Geld schuldig." — Was wird nun wohl der 
kleine Prinz geantwortet haben? „Sei deshalb ohne Sorgen. 
Ich lasse mir morgen wieder einen Zahn ausreißen; da bekomme 
ich gewiß wieder einen Thaler dafür." 
Ruir, und was that der ältere Prinz?—Ja, der schenkte ihm 
den Thaler. 
Und der Zahn? — Den wird er wohl behalten haben. 
F. Jacobs.
	        
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