Vorwort.
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jeden Klasse durchmustert und zu Rate gezogen, so daß der von anoeren Unter¬
richtszweigen, namentlich Geschichte, Erd- und Naturkunde, bereits gebotene Stoff
durch besonders ansprechende, ergreifende Bilder und Scenen bald wieder auf¬
gefrischt, bald in abgelegeneren, dem Fachunterrichte mehr unzugänglichen, aber
darum nicht weniger bildenden und vorzüglich die Vaterlandskunde erweiternden
Partieen ergänzt werden konnte. Wie alle Fächer dem deutschen Unterrichte durch
die Übung der Sprache stets förderlich sind, so sollte auch dieser wiederum für
die geschichtliche Erzählung, für die ins einzelne gehende naturgeschichtliche Be¬
schreibung, für die Schilderung auf dem Gebiete der Erd- und Völkerkunde die
Muster gewähren und die Muttersprache durch erhöhte Wechselwirkung aller Lektionen
steten Vorteil erringen.
Drittens war es unsere Aufgabe, uns bei der Auswahl des allgemeinen päda¬
gogischen Grundsatzes immer bewußt zu bleiben, daß der ganze Mensch, Sinn und
Verstand, Seele und Geist, harmonisch sich entfalten solle. In unserem idealem
Leben sich entfremdenden, dagegen sinnlicher Genußsucht und materiellen Gelüsten
zugekehrten Zeitalter schien es Pflicht, auch hier der reinen Verstandesrichtung,
wie sie das Nützlichkeitsprincip hervorgerufen hat, nach Kräften entgegenzutreten,
dafür aber der Phantasie, jener schöpfungsreichen und, „wenn sie der Mensch be¬
zähmt, bewacht," so wohlthätigen Himmelsmacht, einen heimischen Herd erbauen zu
helfen, unter dessen Strahlen Natur und Menschenleben auch in poetischer, idealer
Beleuchtung sich dem noch empfänglichen jugendlichen Sinne darstellen möchten.
Darum legten wir hohen Wert auf die echten Gebilde der Volksphantasie.
Ferner sollte das Lesebuch auch sein Scherflein dazu beitragen, in der Jugend
über ihr Verhältnis zum Vaterlande jene Anschauung zu wecken, nach welcher
dieses als eine dem Menschen von Gott geordnete heilige Mutter und Spenderin
aller leiblichen und geistigen Gaben betrachtet wird, der er als dienendes Glied,
als treues Kind Gehorsam und Aufopferung schuldig ist. Daher ließen wir das
nationale Element bei der Aufnahme des Stoffes vorherrschen und trachteten da¬
nach, die Gestaltungen deutschen Volkstums, so weit litterarische Schöpfungen uns
Bilder derselben darboten, der Jugend zur Anschauung zu bringen. Daraus er¬
klärt es sich unter anderem, daß wir dem Märchen und der Sage, diesen frühesten
und dem kindlichen Gemüte verständlichsten Offenbarungen deutschen Wesens, einen
weiteren Raum, als gewöhnlich geschehen, bei der Auslese für die unteren Klassen
gestatteten.
Insofern aber alle Pietätsverhältnisse ihren Grund in dem Verhältnisse zu
Gott finden, ist auch unsere Auffassung von der Stellung des Lesebuchs zur
Religion und Sittlichkeit in dem Berührten bereits vorgezeichnet. Fern davon,
das religiöse Element einem fremden Interesse, dem Sprachunterrichte, dienstbar
zu machen oder durch gewaltsames Hereinziehen in den Schulstaub zu entwürdigen,
hielten wir uns doch verpflichtet, nicht nur durch strenge Vermeidung alles Un¬
christlichen wie alles in konfessioneller Beziehung Anstößigen und Gehässigen,
sondern auch durch Vorführung mahnender und ermunternder Vorbilder auf Be¬
förderung des religiösen Sinnes in der Jugend auch hier hinzuwirken.
Die Treue bei der Redaktion der ausgelesenen Stücke schien uns nicht so weit
ausgedehnt werden zu dürfen, daß wir uns nicht aus pädagogischen Gründen zu
Auslassungen und in deren Folge auch zu unerheblicheren Veränderungen behufs
der Verbindung getrennter Bruchstücke nach dem Vorgänge anderer für befugt
' gehalten hätten.
Hamm, den 15. Juli 1855. Die Herausgeber.
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