III. Deutsche Sprache und Literatur.
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wir wie bei Arndt für jede Gelegenheit den stärksten Empfindungsgehalt
in schlagendster Form, nur daß „schlagende Form“ hier nicht als epigram—
matische Knappheit, sondern als feurigste und schwungvollste Kunst der Rede
zu fasfen ist. Diese ist der Jugend eigentümlich und erfüllt hier denn auch
voll ihren Zweck!.
Max von Schenkendorf haben die einen als das größte dichterische
Talent von den dreien bezeichnet, die anderen als das geringste. „Die
reiche Welt der Vergangenheit in ihrer Buntheit und Gestaltenfülle, die ihn
umgaukelte, warf ihre Strahlen in seine Lieder. Dazu kam sein eigenes
sinniges Gefühl, seine musikalische Seele“, heißt es hier; dort aber lautet
es: Seine Reime sind oft abgedroschen, seine Verse haben zumeist einen
blechernen Klang, sein poetischer Atem ist nicht stark.“ Die Wahrheit ist:
Schenkendorf ist ein echter Romantiker, ein Bruder Eichendorffs, schwächer,
blässer, aber heller, klarer, meinetwegen denn auch — obwohl ich das Wort
hasse — sinniger als diefer, der doch etwas von dem farbigen, sinnlichen
Katholizismus des Südens hat, während Schenkendorf ein echtes Kind
des Nordens ist. Wer den eigenen Ton bei ihm verkennt oder ihn gar
blechern findet, der hat keine Ohren, wenigstens keine deutschen; er ist dem
Eichendorffs sehr verwandt, aber keineswegs derselbe. Als Künstler steht
Eichendorff höher; Schenkendorf kommt schwer zum Gedicht, er macht Verse;
aber Poesie sind diese seine Verse ganz gewiß, wenn auch nicht gerade alle.
Am bekanntesten von ihm ist „Freiheit, die ich meine“ geblieben; — ja,
das Gedicht ist sehr weich und zart, fast weiblich; aber es gibt mit Arndts
stählerner Kraft, mit Körners feurigem Schwung doch einen guten Klang;
auch dieser Ton durfte in der Lyrik der Zeit nicht fehlen. Im übrigen ist
Schenkendorf nicht immer so weich, da klingt es auch:
„Die Feuer sind entglommen
Auf Bergen nah und fern;
Ha, Windsbraut, sei willkommen,
Willkommen, Sturm des Herrn.“
oder:
tausend uns zur Rechten,
Zehntausend uns zur Linken,
Ob alle Brüder sinken,
Wir wollen ehrlich fechten.“
Die Todesklage („Auf Scharnhorsts Tod“) und den Friedensgruß We
mir deine Freuden winken“) hat Schenkendorf am schönsten herausgebracht
on den dreien; er ist auch so die Ergänzung der heißatmigen beiden anderen.
Und er sah den Krieg mehr im ganzen als sie, sah Vergangenheit und Zu—
unft. („Wir haben alle schwer gesündigt, so Fürst als Bürger, so der
Adel, hier ist nicht einer ohne Tadel.“ — „Deutscher Kaiser, komm zu rächen
und zu retten!“) Ja, es ist ganz sicher, daß Schenkendorf, obschon seine
Wirkung auf die Kampfgenossen gegen die Arndts und Körners zurückstand,
1S. Eckermanns Gespräche mit Goethe, S. MA7 ff.
Tomuschat, Deutsches Lesebuch für Lehrerbildungsanstalten. II. Teil. Prosa.