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Kaiser Rudolf II.
und ergötzte sich an dem Anblick der herrlichen Pferde ohne doch je eines von
ihnen zu besteigen. Kurz, die Üppigkeit und der Reichtum, die ihn umgaben,
waren für seine bis zur nervösesten Empfindlichkeit gesteigerte Feinfühligkeit
ein unabweisbares Bedürfnis, zu dessen Befriedigung ihm keine Ausgabe zu
groß war. Und gebrach es im Staatsschatz an Geld, so dachte er auf alchimi-
stifchem Wege die Retorten mit Gold zu füllen.
So brachte dieser körperlich zarte Herrscher in der von dem süßen Gift
feingeistiger Genüsse und ausgekünstelter Üppigkeit erfüllten Atmosphäre, die
jedem von der Außenwelt herandrängenden Luftzug ängstlich abgeschlossen blieb,
die Jahre hin; kein Wunder, daß eine so ausgestattete Einsamkeit das ihrige
dazu beitrug des Kaisers von Haus aus empfindsame Nerven zu überreizen
und seine krankhafte Anlage zu einem wirklichen Krankheitszustand zu steigern.
Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts, in dem die Verwirrung im Reich
und in den Habsburgischen Erblanden aufs höchste stieg, beobachtete man an
ihm zu Zeiten eine ausgesprochene Gemütsstörung, die sich wiederholt in form-
lichen Tobsuchtsanfällen äußerte. Er glaubte sich verfolgt, von geheimen Nach¬
stellern in seinem Leben bedroht. Von solchen Sinnestäuschungen erfaßt, fiel
er dann wohl feine Umgebung an oder suchte Hand an sich selbst zu legen.
Von da an ist sein Leben Krankheitsgeschichte, der gegenüber das Mitleid fast
das Urteil verstummen macht. Wie lange er aber schon unter dem Drucke
dieses Leidens stand, bevor es zum Ausbruch kam, wer wäre imstande das zu
entscheiden? Ein krankhafter Zug liegt von Anfang an in den Mängeln seines
Charakters, wie selbst in der Fülle seiner Begabungen. Die Gleichgültigkeit,
die schon früh an ihm auffiel, gestaltete sich immer mehr zu einem Zustande
abstoßender Teilnahmlostgkeit, seine unmännliche Unentschlossenheit zu einem
erbarmungswürdigen Schwanken. Heute sagte er ja um morgen nein zu
sagen. Er widerrief kaum Gewährtes; während er einen Schritt tat, bereute er
ihn schon. Kaum jemals in seinem ganzen Leben, daß er an einmal Be-
schlossenem mit zielbewußter Beharrlichkeit festhielt; es beherrschte ihn vielmehr
ein Bedürfnis der Unentschiedenheit, das einen hohen Grad von Charakter-
schwäche bezeichnet, wo es nicht ein Anzeichen geistiger Erkrankung ist.
Daß eine solche Persönlichkeit unter fremde Abhängigkeit geriet, verstand
sich von selbst. Und da Rudolf bei allem Widerwillen gegen feine Herrscher-
pflichten das empfindlichste Mißtrauen gegen Verletzung und Mißachtung seines
Herrscheransehens hegte, so geriet er unter den Einfluß immer niedriger stehen-
der Personen, die kein weiteres Interesse hatten als sich in seiner Gunst zu
erhalten um ihn auszubeuten.
Gelegentlich brach dann doch wieder das Verlangen nach Selbständigkeit
durch, namentlich gegenüber den Bestrebungen Philipps II. sowie der franzö-