Full text: Prosa für das Seminar (Teil 2, [Schülerband])

50 
Prosa. A. Darstellungen, Abhandlungen, Betrachtungen. 
damit behaftet ist. Und wir lachen nur so lange über das Taumeln eines 
Betrunkenen, als es uns nicht einfällt, daß der Mensch ein Säufer ist und 
sich schaden könnte durch sein Taumeln. Über den Krieg, womit England 
erzwang, das von ihm hergestellte Opium in China einführen zu dürfen, 
können wir nicht lachen; er ist nur scheußlich, wie überhaupt Englands ganze 
Eroberungspolitik, die an Gewalttätigkeit die römische weit übertrifft. Aber 
über jenes Missionsschiff müssen wir lachen und über jenes Gebet des 
heiligen Augustinus; da erscheint die Durchkreuzung des vernünftigen Zu— 
sammenhanges unschädlich. Der Widerspruch, der im Komischen liegt, muß 
gefaßt werden als eine bloße Narrheit! In seinem Gebiet befinden sich die 
Menschen auf dem Standpunkt der Torenwelt, und deshalb kommen sie auch 
leichter davon. Der Geiz ist abstoßend, kann aber doch auch lächerlich 
wirken. Das Mittel wird da zum Zweck gemacht. Daß ein Mensch spart, 
nur um zu sparen, ist ein solcher Verstandesunsinn, daß es komisch erscheinen 
kann, besonders unter der Hand eines Dicherß. 
Aber dazu kommt noch etwas ganz Wesentliches, und das Verdienst, es 
entdeckt zu haben, gehört Jean Paul, der, selber höchst schöpferisch im 
Komischen, als Philosoph das Komische viel tiefer und scharfsinniger unter— 
sucht hat als andere. Es ist die Unterschiebung. Bei allem Komischen 
leiht der Zuschauer dem Gegenstand etwas aus seinem Bewußtsein und 
zwar sein Besserwissen. Wir würden nie lachen, wenn wir nicht dem 
irrenden Wesen (und das ist immer der Mensch, Tiere werden nur durch 
Vergleichung mit Menschen komisch unterschieben würden, es wisse eigentlich 
das Rechte und verfahre doch so verkehrt. Dadurch bringen wir erst einen 
eigentlichen, ganzen Widerspruch hervor, und nur über einen solchen ist zu 
lachen. Eine totale Ungereimtheit muß entstehen. Daß der Mensch weise 
und zugleich töricht ist, das erscheint uns unmöglich, aber es ist doch so, 
und nun müssen wir lachen. Diese Unterschiebung geschieht aber ganz un— 
bewußt, ist eine ganz verhüllte Tätigkeit in dem mit staunenswerter Ge— 
schwindigkeit verlaufenden Geistesvorgang, wodurch der komische Eindruck 
entsteht. m——— m——— 
Ich will nur etwas ganz Gewöhnliches anführen. Es sucht einer seine 
Schreibfeder und hat sie hinter dem Ohr. Was ist denn da zu lachen? 
Eigentlich gar nichts; denn er weiß es eben nicht, daß er sie hinter dem 
Ohr hat. Und wenn einer über die Straße geht, dem die Bändel aus den 
Hosen hängen, so ist das an sich nichts Lächerliches. Aber warum lachen 
wir doch darüber? Weil wir diesem wie jenem unser Wissen unterschieben 
und uns den Schein erzeugen, als ob er wisse und doch nicht wisse. Das 
macht den Lachkitzel. Der Zuschauer schmiegt sich also mit seinem besseren 
Wissen in den Zustand des Pech-Erleidenden hinein. Hierauf beruht alles 
Komische; das ist wesentlich; es gibt nichts zu lachen, wo dieses Unter— 
schieben nicht stattfindet m———— 
Wie ist es nun damit, wenn die nach ihren Gesetzen waltende Natur 
in einen vernünftigen Zusammenhang eine plötzliche Störung hineinbringt?
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.