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So wie am Mutterherzen
Ein Sohn der Freude liegt,
So lieg' ich sonder Schmerzen,
Von Hoffnung eingewiegt.
Im Sterben Hoffnung geben
Mag Erdenweisheit nicht;
Jedoch bei dir ist Leben,
Ist Liebeskraft und Licht.
Du siehst der Schöpfung Enden,
Und was dich Vater heißt,
Das ruht in deinen Händen:
Empfange meinen Geist!
73. Friedrich Gottlieb Klopstock.
Geb. den 2 Juli 1724 in Quedlinburg, Schüler der Schulpforta; studierte in Jena und Leipzig
1748 Hauslehrer in Langensalza, 1750 bei Bodmer in Zürich, 1751 durch den Grafen Bernstorf
nach Kopenhagen eingeladen, wo er bis 1770 bleibt, dann in Hamburg, berufen 1774 nach Karls—
ruhe. Gest. in Hamburg 1803. Ein echt deutscher Dichter, verschmilzt die Formen und Maße des
klassischen Alterthumes mit deutschem Geist und Stoff. Eminent lyrischer Dichter, am größten
in der Ode. Geistliche Lieder (s. o.)); Dramen. „Deutsche Gelehrienrepublik.“ „Grammatische
Gespräche“ ꝛc. Die Messiade (20 Gesänge) hat viele lyrische Schönheiten, dem Epos fehlt es
an Objektivität, Handlung, Plastik. Klopstock scheiterte an dem überkühnen Wagniß, das un—
übertreffliche Epos der Evangelien verschönern zu wollen.“ Vgl. dagegen: Heliand und Krist.
Aus dem „Messias“.
Jesus mit Klenphas und Matthias auf dem Wege nach Emaus.
(Aus dem 14. Gesange.)
Kleophas hatt' indes und Matthias mit ihrem Gefährten
Schon die Schatten der Palmen erreicht. Da die beiden aus Salems
Mauern gingen, und noch bei ihnen nicht ihr Gefährt' war,
Sprachen sie unter einander:
Kleophas:
„Wie kann ich irren, Matthias?
O du kennst ja die Wuth, die heiße Rache der Priester,
Wie sie ergrimmten, als sie es nun nicht zu wehren vermochten,
Daß ihn Joseph begrübe. Sie haben den Hauptmann gewonnen
Haben den Todten geraubt und wollen ihn doch auf dem Hügel
Bei der Verfluchten Gebein begraben. Vielleicht, o du Bester!
Heiligster! deckt schon Golgatha deinen starrenden Leichnam!“
Matthias:
„Aber die Engel am Grab, o Kleophas? Hat sie denn alle
Trübes Trauern getäuscht? und kann denn Traurigkeit wirken,
Daß wir Himmlische sehn? Warum nicht bange Gestalten?
Nacht? gerichtete Todte vielmehr! Ischariots Seele!“
Kleophas bebte zurück, darauf antwortet' er: „Löse
Mir nun einen Zweifel, Geliebter: Warum erscheinet
Unser Meister nicht selbst? Wie kenn' ich Engel? Wie weiß ich,
Kennt ich sie auch, ob sie der Ewige sendet? Ach, Theurer!
Würd' er uns nicht erscheinen, wär' er von den Todten erstanden?
Ihn, ihn kennen wir!“
Matthias:
„Aber, o Kleophas, glaubte Maria
Gabriel nicht? und kannte sie denn die Engel? und können
Gottes höhere Geister was anderes sagen als Wahrheit?
Und verdienen wir denn, daß er uns erscheine? Wir wären,
Wie die Zwölfe geflohn, da laut von den stürmenden Scharen,
Ihrem Grimm und Drohn und Geschrei Gethsemane schallte.
Ferne nur, ferne nahten wir uns, da sein Todesurtheil
Schrecklich vom Richtstuhl scholl, ach, fern des Sterbenden Kreuze!“