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ihres Bestehens nach inneren, ewigen Gesetzen. In solchen Anregungen ruht eint
geheimnißpolle Kraft; sie sind erheiternd und lindernd, stärken und erfrischen de
ermüdeten Geist, hesänftigen oft das Gemüth, wenn es schmerzlich in seinen
erschüttert oder vom wilden Drange der Leidenschaften bewegt ist. Was ihnen Ernste⸗
und Feierliches beiwohnt, entspringt aus dem fast bewußtlosen Gefühle höherer Ord
nung und innerer Gesetzmäßigkeit der Natur, aus dem Eindruck ewig wiederkehrende
Gebilde, wo in dem Besondersten das Allgemeine sich spiegelt, außs dem Contrast
zwischen dem Sinnlich-Unendlichen und der eigenen Beschräuktheit, der wir zu ent⸗
fliehen streben. In jedem Erdstrich, überall wo die wechselnden Gestalten des Thiet
und Pflanzenlebens sich darbieten. äuf jeder Stufe geistiger Bildung sind dem Mensce
diese Wohlthaten gewährt. — Ein anderer Naturgenuß, ebenfalls nur das Geflh
ansprechend, ist der, welchen wir, nicht dem bloßen Eintritt in das Freie (wie wi
tief bedeutsam in unserer Sprache sagen), sondern dem eigenthümlichen Charalle
einer Gegend, gleichsam der physiognomischen Gestaltung der Oberfläche unsere
Planeten verdanken. Eindrücke solcher Art sind lebendiger, bestimmter und deshall
für besondere Gemüthszustände geeignet. Bald ergreift uns die Größe der Nalu
massen im wilden Kampfe der entzweiten Elemente, oder ein Bild des Unbeweglich
Starren, die Dede der unermeßlichen Grasfluren und Steppen, wie in dem gestalt
losen Flachlande der neuen Welt und des nördlichen Asiens; bald fesselt uns, freund
licheren Bildern hingegeben, der Anblick der bebauten Flur, die erste Ansiedelung de⸗
Menschen, von schroffen Felsschichten umringt, am Rande des schäumenden Gießbaches
Denn es ist nicht sowohl die Stärke der Anregung, welche die Stufen des Naturgenusse
bezeichnet, als der bestimmte Kreis von Gedänken und Gefühlen, die sie erzeugen und
welchen sie Dauer verleihen.
Darf ich mich hier der eigenen Erinnerung großer Naturscenen überlassen,
gedenke ich des Oceans, wenn in der Milde tropischer Nächte das Himmelsgewölbe
sein planetarisches, nicht funkelndes Sternenlicht über die sanftwogende Wellenflächt
ergießtt; oder der Waldthäler der Cordilleren, wo mit kräftigem Triebe hohe Palmen⸗
stämme das düstere Laubdach durchbrechen und als Säulengänge hervorragen, eil
Wald über dem Walde; oder des Pics von Teneriffa, wenn horizontale Wolken⸗
schichten den Aschenkegel von der unteren Erdfläche trennen, und plötzlich durch einen
Riß, den der aufsteigende Luftstrom bildet, der Blick von dem Rande des Krater
sich auf die weinbegrenzten Hügel von Drotava und die Hesperidengärten der Küste
hinabsenkt. In diesen Scenen ist es nicht mehr das stille, schaffende Leben der Natul
ihr ruhiges Treiben und Wirken, die uns ansprechen; es ist der ureigene Charaktel
der Landschaft, ein Zusammenfließen der Umrisse von Wolken, Meer und Küsten im
Morgendufte der Inseln; es ist die Schönheit der Pflanzenformen und ihrer Grup
pierung. Denn das Ungemessene, ja selbst das Schreckliche in der Natur, alles, was
unsere Fassungskraft übersteigt, wird in einer romantischen Gegend zur Quelle des
Genusses. Die Phantasie übt dann das freie Spiel ihrer Schöpfungen an dem
was von den Sinnen nicht vollständig erreicht werden kann; ihr Wirken nimmt eine
andere Richtung bei jedem Wechsel in der Gemüthsstimmung des Beobachters—
en nber wir von der Außenwelt zu empfangen, was wir selbst in diese
gelegt haben.
Wenn nach langer Seefahrt, fern von der Heimat, wir zum erstenmal eiln
Tropenland betreten, erfreut uͤns an schroffen Felswänden der Anblick derselben Ge—
birgsarten, die wir auf europäischem Boden verließen; aber diese wohlbekannte Erd
rinde ist mit den Gestalten einer fremdartigen Flora geschmückt. Da offenbart sich
uns, den Bewohnern der nordischen Zone, von ungewohnten Pflanzenformen, von
der überwältigenden Größe der tropischen Gebilde und einer exotischen Natur um—
Jeben, die wunderbar aneignende Kraft des menschlichen Gemüthes. Wir fühlen uns
so mit allem Lebendigen verwandt, daß, wenn es auch anfangs scheint, als müsse