Full text: Für die Oberstufe der Lehrerseminare sowie zur Fortbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

der jetzt schon 25 Jahre in Ruhestand versetzt ist, er ist ein braver Mann, und es thut ihm wohl 
Er ist noch von der alten Welt, aber auch grundgut. Ich bin auch bei ihm in die Schule ge⸗ 
gangen, freilich weiß ich auch wenig genug. Der lehte Schullehrer hat's mit ihm verdorben, weil 
er ihn nicht besucht hat, und wenn Ihr ihm einen besonderen Gefallen thun wollet, lasset ihn 
als einmal am Sonntag Orgel spielen. Jetzt will ich Euch Euer' Wohnung zeigen, Eure Sachen 
sind schon gestern angekommen.“ 4* 
Mißvergnügten Antlitzes ging der Lehrer neben dem Buchmaier durch das Dorf. Er war 
mit so hohen, überschwenglichen Gedanken hier angekommen und war auf eine so rauhe, harte 
Wirklichkeit gestoßen. Oft hörte er hinter sich sagen: „Das ist g'wiß der neu' Schullehrer“, und 
die Nachricht von seiner Ankunft verbreitete sich wie ein Lauffeuer. 
So groß war die hinneigende Liebe der Kinder, in deren Herzen der Lehrer einzudringen 
gedachte, daß sie davon liefen, als sie ihn von ferne sahen. Hie und da blieb auch einer der be⸗ 
herzteren Knaben stehen und nickte freundlich, ohne die Kappe abzuziehen, aus dem einfachen 
Grunde, weil er keine aufhatte. 
Nicht weit von dem Schulhause stand ein hübscher Knabe von sechs bis sieben Jahren 
„Komm' her, Hannesle“, rief der Vater desselben; „gucket, Herr Lehrer, der ist mein. Nehmet 
ihn nur recht dazwischen, er kann lernen, aber er mag oft nicht. Gib dem Herrn eine Hand 
der ist jetzt dein Herr Lehrer, den mußt du gern haben. Wie sagt man zu einem Fremden?“ 
„Grüß Gott“, sagte der Knabe, herzhaft die Hand reichend. 
Das Antlitz des Lehrers war wie verklärt, dieser Gruß aus Kindes Munde that ihm gar 
wohl. Er war jetzt wieder in seinem Paradiese, das unschuldvolle Gemüth eines Kindes wendete 
sich ihm zu. Er beugte sich zu dem Knaben nieder und küßte ihn. 
„Willst du mich lieb haben?“ fragte er dann. Hannesle sah seinen Vater an. 
zwWillst du den Herrn Lehrer gern haben?“ fragte ihn sein Vater. 
Der Knabe schüttelte bejahend den Kopf, er konnte nicht mehr reden, denn die Thränen 
standen ihm in den Augen. 
Der junge Lehrer fühlte sich bekllommen und konnte sich doch nicht recht sagen, warum. End— 
lich fiel ihm die Lauterbacher Geschichte wieder ein. Er sah darin eine grobe und rohe Begegnung, 
alle ihm sonst erwiesene Freundlichkeit haftete nicht an ihm. 
So sind die Menschen! Wenn sie sich in gereizter Stimmung befinden, behalten sie immer 
nur das eine im Sinne, was sie verletzte, und übersehen alles andere noch so Liebreiche. 
Erst saß der Lehrer lange still, dann erhob er sich, seine Sachen auszupacken. Es heimelte 
ihn wiederum an, da die gewohnten Gegenstände um ihn her lagen. Bald versank er indes aber— 
mals in stilles Brüten und er dachte bei sich: Da bist du nun wie in eine Wildniß versetzt; was 
dich erfreut und betrübt, ist für diese Menschen gar nicht vorhanden; dein Schultheiß ist eben 
nichts als ein Bauernschulz, noch stolz auf seine Roheit. Wohl mag auch der Geist in diesen 
Menschen schlummern, aber er ist verschüttet. Ich will alle meine Kraft zusammenhalten, um mich 
gegen das Verbauern zu wahren. Tagtäglich will ich mein ganzes Sein aufwühlen, ich will frei 
bleiben von dem Einflusse meiner Umgebung. 
Ich habe Lehrer gesehen, die, mit dem freien Geiste der Zeit erfüllt, in ihr Amt traten, und 
nach einigen Jahren versanken sie ganz in den Schlendrian, sie waren Bauern geworden, selbst ihr 
Aeußeres war nachläßig und schlapp. — Er schrieb auf ein Zettelchen: „NMemento!“ und steckte es 
an den Spiegel. 
Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld, den Weg, den er hereingekommen 
war. Die Bauern, die hier auf den Aeckern an der Straße arbeiteten, sagten: „Nun, wie geht's, 
Herr Lehrer? Schon eingewöhnt?“ Der Lehrer gab kurze, aber freundliche Antworten; diese Zu⸗ 
thunlichkeit kam ihm fremd vor und beleidigte ihn fast. Er wußte nicht, daß die Leute ein Anrecht 
zu derselben zu haben glaubten, weil sie ihn zuerst gesehen hatten, zuerst von ihm begrüßt worden 
waren. 
NNach langem Umherschweifen in den Feldern fand er „im Grunde“ einen einsam stehenden 
Holzbirnenbaum von schönem Schlage. Er umwandelte ihn von allen Seiten, bis er den rechten 
Punkt gefunden hatte. Nun setzte er sich auf einen breiten Markstein und zeichnete.
	        
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