Full text: Für die Oberstufe der Lehrerseminare sowie zur Fortbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

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Von dieser Zeit an nahm sich der junge Mann vor, freundlicher und gesprächsamer gegen 
die Leute zu sein; er erkannte, daß er nicht nur in der Schule, sondern auch außer derselben 
Pflichten gegen die Menschen habe, mit denen er gemeinsam lebte. 
Eines Tages ging er zu seinem alten Collegen und forderte ihn zum Spaziergange auf. 
Der alte Mann ging eigentlich nie spazieren, die Gartenarbeit verschaffte ihm Bewegung genug; 
die Einladung unseres Freundes erschien ihm jedoch als Ehrenbezeigung, und er ging mit. 
Es war auffallend, wie wenig Gesprächsstoffe bei dem alten Manne Feuer fingen; sie waren 
immer wieder eben so schnell aus, als seine Pfeife, für die er alle fünf Minuten Feuer schlug. 
„Leset Ihr auch bisweilen noch etwas?“ fragte der junge Mann. 
„Nein, fast gar nichts, es kömmt mir auch doch nichts dabei heraus; wenn ich auch alle 
vuͤcher auswendig könnte, was hätt' ich davon? Ich bin pensioniert.“ 
„Ja“, erwiederte der junge Mann, „man vervollkommnet seinen Geist doch nicht bloß um 
des äußeren Nutzens willen, den man daraus ziehen mag, sondern um ein erhöhtes, inneres 
Leben zu gewinnen, um immer tiefer und klarer zu schauen, und alles auf Erden und zumal das 
höhere Geistesleben muß zuerst Zweck für sich —“ 
Der Alte schlug sich mit großer Gemüthsruhe Feuer, unser Freund hielt mitten in einer 
Auseinandersetzung inne, die ihm erst seit kurzem aufgegangen war. Eine Weile schritten die 
beiden wortlos neben einander, dann fragte der Jüngere wieder: 
„Nicht wahr, aber Musik macht Ihr immer gerne.“ 
Das will ich meinen, da sitz' ich oft halbe Nächt' und feile, da brauch' ich kein Licht, ver— 
derb' mir die Augen nicht, hab' Unterhaltung und brauch' keinen Menschen dazu.“ 
„Und Ihr vervollkommnet Euch darin, so weit ihr könnt?“ 
„Warum nicht? Gewiß.“ 
„Ihr habt doch aber auch keinen Nutzen davon “, sagte der junge Mann. Der Alte schaute 
ihn verwundert an; jener aber fuhr fort: „Wie Euch die Musik und Eure Ausbildung darin 
Freude bereitet, ohne daß Ihr einen Nutzen davon wollt, so könnte und sollte es wohl auch mit 
dem Lesen und der Geistesbildung sein; aber es geht hiermit oft gerade so wie vielen Leuten, die 
sich nicht mehr mit der gehörigen Sorgfalt kleiden, weil sie niemanden haben, auf dessen Ge— 
fallen sie ein besonderes Gewicht legen. Ich hörte vorgestern, wie ein junger Bursche einer jun— 
gen Frau über ihren nachläßigen Anzug Vorwürfe machte. „Ei‘, sagte sie, „‚was liegt jetzt da— 
ran? Ich bin jetzt schon verkauft, der mein' muß mich halt haben, wie ich bin. Als ob man 
sich eines äußeren Zweckes, nur anderer wegen sorgfältig eide, und nicht weil es die eigene Na— 
tur, die Selbstachtung verlangt. So geht es auch vielen mit der Geistesbildung; weil sie solche 
bloß des äußeren Zweckes wegen betreiben, lassen sie davon ab, sobald der nächste Zweck erreicht 
oder nicht mehr da ist. — Wer aber seine geistige Natur, seinen geistigen Leib, wenn ich so sagen 
kann, achtet und schätzt, wird ihn immer schön und rein erhalten und ihm stets mehr Kraft zu 
geben suchen.“ 
Der junge Mann erkannte erst jetzt, daß er eigentlich ein lautes Selbstgespräch gehalten 
hatte; er fuͤrchtete indes nicht, den Alten beleidigt zu haben, denn er sah dessen volllommene Gleich— 
gültigkeit. Mit schwerem Herzen erkannte er von neuem, wie mühevoll es sei, die höheren all— 
gemeinen Gedanken an Mann für Mann zu verzapfen. „Wenn der alte Lehrer so harthäutig 
ist, wie wird es dir erst bei den Bauern gehen!“ dachte er. So schritten sie eine stille Weile da— 
hin, bis der Jüngere wieder begann: 
„Wie war's denn in früheren Zeiten mit der Musik?“ 
Da lebte der Alte ganz auf; er hielt Zunder und Stahl in der Hand, ohne sich Feuer zu 
schlagen, denn er sagte: 
„Das ist heutigentages nur noch ein Gedeudel. Ich war dritthalb Jahr' Unterorganist 
im Münster zu Freiburg, Herr! Das ist eine Orgel, ich hab' den Abt Vogler drauf gehört; im 
Himmel kann's nicht schöner sein, als der gespielt hat. 
Hernach hab' ich auch auf mancher Kirchweih aufgespielt. 
Früher hat man meist Geigen gehabt, auch eine Harfe und ein Hadkbrett; jetzt haben sie 
nichts als Blasinstrumente, große Trompeten, kleine Trompeten, Klappentrompeten, alles nichts
	        
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