Full text: Für die Oberstufe der Lehrerseminare sowie zur Fortbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

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erbarmungsloser Sieger über das Land verhängte. Ganz Preußen war allmählich dieser Geisel 
verfallen; mit beispielloser Brutalität hausten die fremden Sieger, Führer wie Soldaten, 
Franzosen wie Rheinbündler, in dem unglücklichen, ausgesogenen Staate. Selbst die gültigen 
Verträge, die man nachher drückend genug abschloß, um einmal ein Ende vor sich zu sehen, 
wurden nur die Quelle neuer Mißhandlungen; Beschwerden wurden mit Hohn oder mit 
gesteigerten, oft ganz unerfüllbaren Ansinnen beantwortet, überhaupt die planmäßige Taktik 
aum mehr verhehlt, das Land auszupressen bis zum äußersten Grade der Verarmung und 
Ohnmacht. Der grenzenlose Uebermuth, die Raubsucht, die unritterliche, wüste Sitte und 
Art der Sieger ließen diesen Zustand mit jedem neuen Tage wie eine frische Peinigung 
empfinden. Auch wo der Feind am frühesten abzog, am rechten Weichselufer, waren die 
Kräͤfte des Landes erschöpft, der Vieh- und Pferdestand zerstört, Dörfer und Städte in 
Menge abgebrannt, viele Tausende von Familien ins Elend getrieben. Fanden sich doch in 
einem einzigen Orte fünfhundert Kinder armer, verschollener, oder am Faulfieber gestorbener 
Eltern, die durch Sammlungen und auf öffentliche Kosten ernährt werden mußten. 
Es war zu begreifen, wenn viele anfingen, an der Möglichkeit einer Hilfe zu verzweifeln. 
Der König selbst war aufs tiefste niedergebeugt und glaubte sich vom Unglücke dazu ausersehen, 
alles, was er beginne, zerstört und mißlingen zu sehen. Aber es war auch der zähe Wider— 
stand überwunden, den er noch in den letzten Tagen des Jahres 1807 jeder durchgreifenden 
Umgestaltung des alten Staatswesens entgegengesetzt; er war jetzt bereit, dem Manne, den 
er vorher ungnädig von sich stieß, die Reorganisation des Staates in die Hand zu legen 3 
Der Freiherr von Stein war damals (im Januar 1807) nach seiner rheinischen Heimat 
zurückgekehrt, tief entrüstet über die Behandlung, die ihm geworden, auch ohne jedes Ver— 
lrauen auf die Umgebungen des Königs. „Ich verspreche mir nichts“, schrieb er, „von den 
Ingredienzien de la Cour de Nemel; es ist eine geistlose, geschmacklose Zusammensetzung, 
keiner als der saulenden Gährung fähig. Herr von Hardenberg scheint noch einiges Günstige 
zu erwarten; ich bewundere seine Langmuth, wünsche, daß sie gegründet sei, erwarte mir 
aber von leeren, trägen und platten Menschen nichts.“ Doch auch in seiner Einsamkeit 
beschäftigte ihn nur der Gedanke, wie Preußen wieder aufzurichten sei; gerade dieser Zeit 
unfreiwilliger Muße gehört eine seiner interessantesten Arbeiten an, eine Denlschrift über die 
zweckmäßigste Bildung der obersten und der Provinzial⸗Behörden in der preußischen Monarchie. 
Nun kam der Friede mit seinen furchtbaren Bedingungen und seiner noch furchtbareren 
*) Friedrich Wilhelm III. war seit neun Jahren zu sehr gewohnt gewesen, daß seine Rath— 
geber auf die Stelle und nicht auf Grundsätze den Hauptnachdruck legten, als daß er sich in die 
Änschauung eines unabhängigen und charakterfesten Mannes, wie Stein, hätte versetzen können 
Daß man eben jetzt solcher Männer bedürfe, nachdem der alte Mechanismus geistlosen Befehlens 
und Gehorchens so schmählich Bankerott gemacht, war dem König noch nicht deutlich geworden. 
Sonst hätte er nicht den wunderlichen Gedanken haben können, Stein wider Willen gleichsam zum 
Minister zu pressen. Wie wenn alles in bester Ordnung wäre, wurden auch nach seiner Ablehnung 
Weisungen an ihn gegeben (30. December), und als Stein auf seine Erklärung verwies, wurden sie 
wiederholt. Seine standhafte Weigerung, zu einem Werke mitzuwirken, das er für fruchtlos und 
zweckwidrig ansah, wurden vom König als Trotz und Ungehorsam angesehen. Sichtbar erbittert 
schrieb er am 3. Januar 1807 an den Minister eine Kabinetsordre, deren Inhalt so kränkend für 
Stein war, wie ihre Form. „Mit großem Leidwesen habe ich ersehen müssen, daß ich mich leider 
mhl in Inen geirrt habe, sondern daß Sie vielmehr als ein widerspenstiger, trotziger, hartnäckiger 
und ungehorsamer Staatsdiener anzusehen sind, der, auf sein Genie und seine Talente pochend, 
weit eutfernt, das Beste des Staates vor Augen zu haben, nur durch Capricen geleitet, aus 
Leidenschaft und aus ngn Hasse und Erbitterung handelt. — Da Sie vorgeben, ein 
wahrhelsliebender Mann zu sein, so habe ich Ihnen auf gut Deutsch meine Meinung gesagt, 
indem ich noch hinzufügen muß, daß, wenn Sie nicht ihr respelwidriges und unanständiges Betragen 
zu ändern willens sind, der Staat keine große Rechnung auf Ihre ferneren Dienste machen kann.“ 
Stein bat sofort um seinen Abschied; er ward ihm lakonisch in zwei Zeilen ertheilt (4. Januar). 
Offenbar hatte die Katastrophe vom 14. Oltober mit allen ihren erschütternden Folgen noch nicht 
hingereicht, den Abgrund aufzudecken, an welchem der Staat angelangt war; der Zauber des 
aͤlten Wesens war am Hofe noch nicht gebrochen; man glaubte dort neuer Formen und neuer 
Männer nicht zu bedürfen, da man ja der russischen Hilfe sicher war. —1845—3 
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