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Sitte, Bedingungen der Zeiten überspringt, die er schildert; wo er
seine Personen zu deutlich selber sagen läßt, was sie sind und denken,
statt es uns entnehmen zu lassen aus dem, was sie tun und ver¬
schweigen oder nur halb anssprechen. Er ist auch jetzt, da seine 230
Herbe sich gemildert, nicht immer gerecht gegen die Natur und das
Wirkliche. Und verhehlen wir es uns nicht: neben dem männlichen
Ton zieht sich ein sehnsüchtig empfindsamer hindurch, den wir nicht
durchaus loben können. Stark ist Schiller, wenn er feinen Stand
nimmt im feurigen, tätigen Willen, der sich anspannt, in die wirkliche
Welt seinen hohen Inhalt hineinzuarbeiten; zu schmelzend aufgelöst ist
er, wenn er von dieser wirklichen Welt sich leidend hinübersehnt nach
einem Bilde des Vollkommenen und vergißt, daß der Dichter den
Abglanz des Himmels auf die gegenwärtigen Gestalten des vollen,
kämpfenden Lebens wirft. Und doch, es klingt da wieder etwas hin- 240
durch, was uns schnell mit ihm versöhnt; so etwas Vertrauliches, ein
Herzenston, schlicht, einfach wie Schillers eignes bescheidenes Leben,
treuherzig, echt deutsch: man muß ihm gut sein; es ist nicht möglich,
sich ihm zu entfremden. Das Herrschende aber ist ja doch der starke,
der tüchtige, der männliche Ton.
Die Dichtergabe seines großen Freundes war ungemischter: reines
Gold der Dichtung, wohl aber auch weich wie Gold. Schiller setzt
dem Gold etwas zu, was mit ihm nicht in ein Metall aufgeht: es
ist aber Stahl, echter Stahl; es ist sein großer Wille, sein gedanken¬
reicher Geist, den er nur nicht völlig in die Dichterkraft einzuschmelzen 250
vermag. Goethe schließt den handelnden Menschen aus, Schiller
schließt ihn ein: der mächtigere Inhalt war schwerer in gegenständliche
Form aufzulösen. Die Natur mischt in unendlicher Weise die Kräfte.
Hat sie hier einen Redner und Denker mit einem Dichter gemischt:
es sei; warum sollen wir ihn nicht lieben und verehren, wie er ist,
da die Mischung so herrlich geworden?
Wo aber der Dichter wieder ungeteilt spricht, ja, da ist er ganz
Dichter. Oder fehlt sie ihm, jene wunderbare Anschauung der Dinge,
die das leibliche Auge nie gesehen? Reißt er uns nicht in die wilde
Brandung des Meeres, deren Anblick ihm nie geworden? Ist es uns 260
nicht, als atmeten wir Lüfte'der Schweiz in seinem Tell? Und er
kannte sie nur aus Büchern. Vertraut wandeln die Bilder der Welt
und die Charaktere der Menschen vor seinem inneren Auge vorüber;
ja auch das Arge der Welt, die Netze der List, was an Höfen im
verborgenen spielt, in Staatsverwicklungen hinter der Oberfläche sich
abspinnt, die Jrrgänge der Leidenschaft, die Abgründe des Bösen: er