Full text: Von Goethe bis zur Gegenwart (Band 2, [Schülerband])

GgIߣIßS)ß3ß2)ßSlßg] 6mIt Rietschels lugend. 807 
Rauch gereizter, „nicht wahr, wenn es eine Madonna gewesen wäre, 
würde sie Ihnen wohl in die Augen gefallen fein!“ Rauch schmollte 
noch einige Zeit. Für Rietschel wurden diese und ähnliche Hin¬ 
weisungen eine ernste Mahnung, sich allmählich von dem Bann seiner 
jugendlichen Anschauung zu erlösen und sich immer tiefer in die 
unverbrüchlichen Muster der Alten hineinzuleben. Rietschel hat 
glänzend gezeigt, daß bei ihm die eine Einseitigkeit nicht ohne weiteres 
an die Stelle der anderen trat, sondern daß er sich klar bewußt 
wurde, wo die feine Grenzlinie zwischen geistiger Nachbildung und 
bloß äußerer Nachahmung liegt. 
Mit den steigenden Fortschritten stieg der Arbeitseifer. Rietschel 
war der tätige Mitarbeiter Rauchs an der Dürerstatue, welche zum 
dreihundertjährigen Dürerjubiläum in Nürnberg ausgestellt sein sollte. 
Für sich selbst führte er das Modell eines David aus. Da, obgleich 
noch immer einer der jüngsten Schüler Rauchs, wagte er sich an die 
Aufgabe, welche zur Konkurrenz für das italienische Reisestipendium 
ausgeschrieben war. Die Aufgabe war: „Penelope, ihrem den Wagen 
besteigenden Gemahl Ulysses folgend, wird von ihrem Vater Jcarius 
gebeten, bei ihm zu bleiben." Rietschel gewann den Preis zwei Jahre 
nach seinem ersten Eintritt in geordneten Unterricht. 
Diese Auszeichnung wurde ein tiefgreifender Wendepunkt. Das 
Reisestipendium selbst konnte Rietschel trotz seines Anrechts nicht er¬ 
halten; er war in Preußen ein Ausländer. Aber der akademische 
Senat empfahl den Preisgekrönten durch ein besonderes Schreiben 
aufs wärmste der sächsischen Regierung, und diese bewilligte ihm ein 
außerordentliches Reisestipendium von zwölfhundert Talern auf drei 
Jahre. Und was für Rietschel noch wichtiger wurde: es ward ihm 
fortan die Möglichkeit gegeben, sich frei zum jelbftänbigen Künstler 
ausbilden zu dürfen. Graf Einsiedel, erfreut über die großen Er¬ 
folge seines jungen Schützlings, entband ihn edel und hochherzig aller 
Verpflichtungen. Der junge vielversprechende Genius war gerettet. 
Rietschel hat seinem Wohltäter sein ganzes Leben hindurch die wärmste 
Dankbarkeit bewahrt. Graf Einsiedel hat noch die volle Höhe von 
Rietschels Ruhm erlebt; in seinem Hüttenwerk Lauchhammer sind 
einige der vollendetsten Werke Rietschels gegossen. Es war eine eigene 
Fügung des Schicksals, daß der Graf nur wenige Tage nach dem 
Tode Rietschels ihm in das Grab folgte. 
Rietschel ging nicht sogleich nach Italien. Er verweilte noch 
einige Zeit in Berlin. Um die Weihnachtszeit 1828 überraschte ihn 
die Nachricht von dem Tode seines geliebten Vaters, den er noch 
230 
240 
250 
260
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.