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Rauch gereizter, „nicht wahr, wenn es eine Madonna gewesen wäre,
würde sie Ihnen wohl in die Augen gefallen fein!“ Rauch schmollte
noch einige Zeit. Für Rietschel wurden diese und ähnliche Hin¬
weisungen eine ernste Mahnung, sich allmählich von dem Bann seiner
jugendlichen Anschauung zu erlösen und sich immer tiefer in die
unverbrüchlichen Muster der Alten hineinzuleben. Rietschel hat
glänzend gezeigt, daß bei ihm die eine Einseitigkeit nicht ohne weiteres
an die Stelle der anderen trat, sondern daß er sich klar bewußt
wurde, wo die feine Grenzlinie zwischen geistiger Nachbildung und
bloß äußerer Nachahmung liegt.
Mit den steigenden Fortschritten stieg der Arbeitseifer. Rietschel
war der tätige Mitarbeiter Rauchs an der Dürerstatue, welche zum
dreihundertjährigen Dürerjubiläum in Nürnberg ausgestellt sein sollte.
Für sich selbst führte er das Modell eines David aus. Da, obgleich
noch immer einer der jüngsten Schüler Rauchs, wagte er sich an die
Aufgabe, welche zur Konkurrenz für das italienische Reisestipendium
ausgeschrieben war. Die Aufgabe war: „Penelope, ihrem den Wagen
besteigenden Gemahl Ulysses folgend, wird von ihrem Vater Jcarius
gebeten, bei ihm zu bleiben." Rietschel gewann den Preis zwei Jahre
nach seinem ersten Eintritt in geordneten Unterricht.
Diese Auszeichnung wurde ein tiefgreifender Wendepunkt. Das
Reisestipendium selbst konnte Rietschel trotz seines Anrechts nicht er¬
halten; er war in Preußen ein Ausländer. Aber der akademische
Senat empfahl den Preisgekrönten durch ein besonderes Schreiben
aufs wärmste der sächsischen Regierung, und diese bewilligte ihm ein
außerordentliches Reisestipendium von zwölfhundert Talern auf drei
Jahre. Und was für Rietschel noch wichtiger wurde: es ward ihm
fortan die Möglichkeit gegeben, sich frei zum jelbftänbigen Künstler
ausbilden zu dürfen. Graf Einsiedel, erfreut über die großen Er¬
folge seines jungen Schützlings, entband ihn edel und hochherzig aller
Verpflichtungen. Der junge vielversprechende Genius war gerettet.
Rietschel hat seinem Wohltäter sein ganzes Leben hindurch die wärmste
Dankbarkeit bewahrt. Graf Einsiedel hat noch die volle Höhe von
Rietschels Ruhm erlebt; in seinem Hüttenwerk Lauchhammer sind
einige der vollendetsten Werke Rietschels gegossen. Es war eine eigene
Fügung des Schicksals, daß der Graf nur wenige Tage nach dem
Tode Rietschels ihm in das Grab folgte.
Rietschel ging nicht sogleich nach Italien. Er verweilte noch
einige Zeit in Berlin. Um die Weihnachtszeit 1828 überraschte ihn
die Nachricht von dem Tode seines geliebten Vaters, den er noch
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