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Goethe als Dramatiker
die Handlung keinen energischen Schritt vorwärts tut, während der Zu—
schauer bänglich fühlt, daß sich die Wolken des Verderbens immer dunkler
um Egmont zusammenballen. In der großen Szene mit Alba entladen
sie sich mit einem kurzen, vernichtenden Blitzschlage, der um so stärker
wirkt, je länger wir ihn erwartet haben.
Den stärksten Tadel hat seit der berühmten Kritik Schillers der
„Saltomortale in die Opernwelt“ gefunden, den das Melodram und
die Erscheinung Klärchens in der Schlußszene bedingt, und es ist nicht
zu leugnen, daß sich darin eine Zwiespältigkeit des Stils kundgibt, die
mit den höchsten Anforderungen an die Einheit des Kunstwerks nicht
zu vereinigen ist.
Sie macht sich auch sonst im „Egmont“ vielfach geltend und kenn—
zeichnet ihn als ein Übergangswerk, das zwei Perioden in der Entwick—
lung des Dichters angehört. Der frische Realismus der ersten Volksszenen,
der Freiheitssinn, der sich in ihnen und in dem Liebespaar verkörpert,
das Überwiegen der Schilderung vor der Handlung, die Prosaform weisen
noch auf den „Götz“ zurück; dagegen deutet die maßvolle Sprache, die
selbst in den leidenschaftlichen Situationen niemals die Schönheitslinie
überschreitet, schon auf die „Iphigenie“ und ihren neuen Stil hinaus,
ebenso die geringe Zahl der Verwandlungen und die Hinneigung zu
rhythmisch gehobener Rede. Besonders gegen den Schluß hin überwiegt
der jambische Fall der Sätze, so daß sich ausgedehnte Stellen wie Verse
lesen.
Die neue Kunst, die sich in allen diesen Erscheinungen ankündigt, ist
Goethe in den zehn Weimarer Jahren von 1776 bis 1786 zu eigen
geworden. Außerlich scheint er sich zunächst einem oberflächlichen, in
derben Genüssen schwelgenden Treiben hinzugeben, in dem er manche
gute Stunde den „Spielen der Eitelkeit“ opfert. Unter ihnen nimmt
eine Hauptstelle das CLiebhabertheater der Hofgesellschaft ein. Da im
Jahre 1774 durch den Brand des Weimarer Schlosses die Berufsschau—
spieler vertrieben worden waren, suchte man Ersatz in Dilettantenauf⸗
führungen, die den höchsten Glanz durch die Ceitung Goethes und die
Mitwirkung der vielbegabten, durch Schönheit und Geist ausgezeichneten
CLorona Schröter erhielten. Bis 1783 bestand dieses „Hoftheater“,
und gewiß hat niemals eine Dilettantenbühne Höheres geleistet. Goethe
schrieb für sie eine Anzahl von kleineren Dramen, alle voll des intimsten
persönlichen Reizes, voll von Anspielungen auf den engen Kreis, den
Darsteller und Zuschauer bildeten; aber eben deshalb nur Gelegenheits
dichtungen, die zumeist mit dem Moment, den sie verschönten, zu ver⸗
gehen bestimmt waren.