Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

Aus Schillers Jugendtagen 
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Bei einem Besuche in Hohenheim wurde der kleine Friedrich sehr 
lange gesucht. Er war in dem Hause, in welchem der Vater abgestiegen 
war und das einen Teil der fürstlichen Gebäude ausmachte, die das 
Schloß umgaben, aus einem Salonfenster gestiegen und hatte eine Ent— 
deckungsreise über die Dächer unternommen. Eben war er im Begriffe, 
den Löwenkopf, in welchen eine der Dachrinnen auslief, näher zu besich— 
tigen, als der erschrockene Vater ihn entdeckte und ihm laut zurief. Der 
Knabe aber blieb so lange regungslos auf dem Dache, bis der Forn des 
Vaters sich gelegt hatte und ihm Straflosigkeit zugesichert war. 
Ein andermal — noch mochte Schiller nicht über sieben Jahre zählen 
— fehlte der Kleine zur Zeit des Abendessens, als eben ein finsteres 
Gewitter am Himmel stand und die Blitze schon die Luft durchkreuzten. 
Im ganzen Hause wurde er vergebens gesucht und mit jedem Donner⸗ 
schlage vermehrte sich die Angst der Eltern. Endlich fand man ihn nicht 
weit vom väterlichen Hause im Wipfel der höchsten Linde, die er unter 
dem Krachen des ganz nahen Donners jetzt erst zu verlassen Miene machte. 
„Um Gottes willen, wo bist du gewesen?“ rief ihm der geängstete Vater 
entgegen. „Ich mußte doch wissen, woher das viele Feuer am Himmel 
kam!“ entgegnete der mutige Knabe. — Ist es nicht, als hätte er sich 
schon am frühen Lebensmorgen im Arsenal der Schöpfung umsehen 
wollen, um dereinst von ihr jene Flammenblitze zu entlehnen, mit welchen 
er im Reiche der Geister die lang entweihte Bühne und von der Bühne 
aus die Welt der Freiheit und Sittlichkeit zu reinigen unternahm ? 
In seinen Arbeiten zeigte Schiller von früher Jugend auf unermüd— 
liche Beharrlichkeit, und ein Geschäft, das einmal von ihm vorgenommen 
war, mußte, trotz der nicht seltenen Vorwürfe des Vaters, oft heimlich, 
mit Unterbrechung des Schlafes, selbst bei Lampenschein beendet werden. 
Im Jahre 1768 verließ die Schillersche Familie Corch, wo der Vater 
in ziemlich beschränkten Umständen gelebt hatte, da er hier während drei 
ganzer Jahre nicht den mindesten Sold empfing, sondern von seinem Ver— 
mögen zehren mußte. Auf eine nachdrückliche Vorstellung bei dem Herzoge 
ward er endlich von seinem Posten als Werbeoffizier abgerufen und der 
Garnison Cudwigsburg einverleibt, wo er den rückständigen Sold in 
Terminen ausbezahlt erhielt. Der neunjährige Fritz Schiller wurde nun 
in die lateinische Schule zu Ludwigsburg geschickt. 
Gustav Schwab.
	        
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