Aus Schillers Jugendtagen
218
29
Bei einem Besuche in Hohenheim wurde der kleine Friedrich sehr
lange gesucht. Er war in dem Hause, in welchem der Vater abgestiegen
war und das einen Teil der fürstlichen Gebäude ausmachte, die das
Schloß umgaben, aus einem Salonfenster gestiegen und hatte eine Ent—
deckungsreise über die Dächer unternommen. Eben war er im Begriffe,
den Löwenkopf, in welchen eine der Dachrinnen auslief, näher zu besich—
tigen, als der erschrockene Vater ihn entdeckte und ihm laut zurief. Der
Knabe aber blieb so lange regungslos auf dem Dache, bis der Forn des
Vaters sich gelegt hatte und ihm Straflosigkeit zugesichert war.
Ein andermal — noch mochte Schiller nicht über sieben Jahre zählen
— fehlte der Kleine zur Zeit des Abendessens, als eben ein finsteres
Gewitter am Himmel stand und die Blitze schon die Luft durchkreuzten.
Im ganzen Hause wurde er vergebens gesucht und mit jedem Donner⸗
schlage vermehrte sich die Angst der Eltern. Endlich fand man ihn nicht
weit vom väterlichen Hause im Wipfel der höchsten Linde, die er unter
dem Krachen des ganz nahen Donners jetzt erst zu verlassen Miene machte.
„Um Gottes willen, wo bist du gewesen?“ rief ihm der geängstete Vater
entgegen. „Ich mußte doch wissen, woher das viele Feuer am Himmel
kam!“ entgegnete der mutige Knabe. — Ist es nicht, als hätte er sich
schon am frühen Lebensmorgen im Arsenal der Schöpfung umsehen
wollen, um dereinst von ihr jene Flammenblitze zu entlehnen, mit welchen
er im Reiche der Geister die lang entweihte Bühne und von der Bühne
aus die Welt der Freiheit und Sittlichkeit zu reinigen unternahm ?
In seinen Arbeiten zeigte Schiller von früher Jugend auf unermüd—
liche Beharrlichkeit, und ein Geschäft, das einmal von ihm vorgenommen
war, mußte, trotz der nicht seltenen Vorwürfe des Vaters, oft heimlich,
mit Unterbrechung des Schlafes, selbst bei Lampenschein beendet werden.
Im Jahre 1768 verließ die Schillersche Familie Corch, wo der Vater
in ziemlich beschränkten Umständen gelebt hatte, da er hier während drei
ganzer Jahre nicht den mindesten Sold empfing, sondern von seinem Ver—
mögen zehren mußte. Auf eine nachdrückliche Vorstellung bei dem Herzoge
ward er endlich von seinem Posten als Werbeoffizier abgerufen und der
Garnison Cudwigsburg einverleibt, wo er den rückständigen Sold in
Terminen ausbezahlt erhielt. Der neunjährige Fritz Schiller wurde nun
in die lateinische Schule zu Ludwigsburg geschickt.
Gustav Schwab.