31. Simplizius.
Dem abenteuerlichen Romane Christoffel von Grimmelshausen nacherzählt von L. Kabisch.
I. W i e Simplizius erzogen wird.
Als Bauernsohn im Spessart wächst Simplizius auf. Sein Vater
(nach dortiger Ausdrucksweise sein Knan), seine Mutter, ihre Tochter
Ursel sowie Knecht und Magd sind die einzigen Menschen, die er sein Leb¬
tag gesehen, und so ist es kein Wunder, daß er glaubt, es gebe sonst keine
Menschen auf der Welt. In gleicher Unwissenheit bleibt er in jeder Bezieh-
ring; ein Christ ist er nur dem Namen nach; sein Amt ist, die Schweine,
Schafe und Ziegen zu hüten und durch Blasen auf der Sackpfeife den
Wolf zu vertreiben. Durch seine Musik lockt er — im Fahre 1654 — eines
Tages einen Haufen versprengter Kürassiere herbei, die sich im Walde
verirrt haben. Das Gehöft seines Knan wird unter entsetzlicben Martern
der Einwohner geplündert und Simplizius allein entspringt in den Wald.
Am nächsten Morgen sieht er den Hof in Flammen, die Menschen sind
verschwunden. Er gelangt nun im Walde zu einem Einsiedler, der schier
entsetzt ist über die Torheit des Knaben. Einsiedler: „Wie heißest
du?" Simplizius: „Ich heiße Bub." Er.: „Ich sehe wohl, daß du kein
Mägdlein bist. Wie hat dich aber dein Vater und Mutter gerufen?"
S.: „Ich habe keinen Vater und keine Mutter gehabt." E.: „Wer
hat dir denn das Hemd gegeben?" S.: „Ei, mein Meuder." E.: „Wie
hieß dich denn dein Meuder?" S.: „Sie hat mich Bub geheißen, auch
Schelm, langöhriger Esel, ungehobelter Nölz, ungeschickter Tölpel und
Galgenvogel." E.: „Wer ist denn deiner Mutter Mann gewesen?" S.:
„Niemand." E.: „Bei wem hat sie denn gewohnt?" S.: „Bei meinem
Knan." E.: „Wie hat dich denn dein Knan geheißen?" S.: „Er hat micb
auch Bub genannt." E.:„Wie hieß aber dein Knan?" S. „Er heißt Knan."
usf. Ein ganz verstümmeltes Vaterunser ist die einzige Wissenschaft, die
Simplizius mit viel Selbstbewußtsein vortragen kann. So beschließt
der Einsiedler sich des armen Toren anzunehmen. Er behält ihn auf sein
inständiges Bitten bei sich, unterweist ihn in der christlichen Religion,
im Unterscheiden von gut und böse, in der Liebe Gottes und Christi zu den
Menschen und wie siEs ihm vergelten können. „Sein Leben und seine
Reden waren mir eine immerwährende Predigt." „Und daß ich alles
so bald gefaßt habe, was mir der fromme Einsiedel vorgehalten, ist daher
gekommen, daß er die geschlichtete Tafel meiner Seele ganz leer und ohne
irgend ein zuvor hineingedrücktes Bildnis gefunden hat, welches etwas
anderes hineinzubringen hätte verhindern mögen." Wegen seiner puren
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