Das deutsche Rinderlied
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Er war jederzeit und ist überall: „Der Rinderreim im Oldenburger und
Bremer Lande und derjenige an der Donau unterscheiden sich oft noch
weniger als Geschwister, sondern haben eine wahre Zwillingsähnlichkeit.
Vas Schröer in j?reßburg, Zschischka und Schottky in Deutschböhmen
und im Erzherzogtum an solchen Sprüchen aufzeichneten, Mannhardt in
Danzig, das gleicht alles unserem Rinderspruche an der Aare und am
Jura: aller Unterschied zwischen diesen örtlich sich so entfernt bleibenden
Rleinigkeiten ist bis in die .Tausende von Sprüchen hinein kein anderer
als ein mundartlicher. U)ie soll man sich diese märchenhafte Ubiquität
erklären? Reine Zeit hat sich dieser unscheinbaren Dinge ernstlich ange¬
nommen, der Buchdruck hat sie nicht verbreitet, j?lan und Lehre sie nicht
vorsätzlich jemals vererbt oder gefristet; gleichwohl sind sie aller Orten
und von jeher!"
Ich sprach vorher scherzend von einer Wissenschaft der Rinderstube,:
es gibt aber heute wirklich eine solche und sie hat mit der Sammlung,
Vergleichung und Stammbaumforschung der Rinderpoesie begonnen, wozu
Jakob Grimm in seiner „Deutschen Mythologie" den Grund legte. Aus
dem germanischen Mythus kamen die beliebtesten Märchengestalten. Das
Dornröschen und sein j)rinz sind Brunhild und Siegfried, in dem Elemente
des Überall und Nirgends belassen, nur in das sonnige Reich der Rinder¬
träume eingerückt, während die Heldensage sie in den Dienst ihrer Tragik
stellte. Die Frau Holle, die ihre Betten macht, wenn es schneit, ist die
Göttin Frigg; der Wunschhut des reisenden Handwerksburschen, sein
Tischlein-deck-dich, das Hinkelbeinchen des treuen Schwesterchens, das
seinen Bruder aus dem Glasberg erlöst, sind Attribute altgermanischer
Götter. Aber auch im Rinderliede jst derlei aufbehalten geblieben. In
dem Neiterliedchen heißt es:
„Reite, reite, Rößlein,
Zu Basel steht ein Schlößlein,
Zu Rom, da steht ein Glockenhaus,
Da schauen drei schöne Jungsrauen heraus:
Die eine, die spinnt Seide,
Die andre wickelt weide,
Die dritte spinnt das klare Gold,
Und die ist meinem Rindlein hold."
Das find aber die drei Bornen, deren nordische Abkunft durch ihr
Quartier im römischen Glockenhause ebensowenig berührt wird wie durch
den Namenswechsel, den uns eine andere Variante zeigt, in der sie „die
drei Mareien" heißen. Ebenso hat man im Neigenspiele von der goldenen
und faulen Brücke, wie es in allen Gegenden Deutschlands vorkommt,
eine Reminiszenz an die Totenbrücke erkannt, an welcher der hütende
Blodhgudhr sitzt und spricht: „Reite durch, der Bruder ist schon voraus!"
Zn vielen Fällen gewinnen Lieder und Sprüche, die uns auf den
ersten Blick als Rindergeplapper ohne verstand, als bloße Lippenübungen