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Von Gustav Freussen.
Jn der Schulstube saßen drei oder vier Leute auf den Bänken
ind sprachen von den Gerüchten, die die Zeitungen der letzten
Tage gebracht und die Leute von Haus zu Haus weiter ge⸗
tragen hatten. Sie sahen auf die große Wandkarte von Deutsch⸗
land, die links vom Pulte hing, und warfen, während sie
redeten, ihre Blicke oft auf einen Punkt der Karte.
Da stand das Wort Metz.
Es tamen Alte und Junge, Frauen und Mädchen. Sie kamen alle
in Werkelkleidern, verbrannt von der Sonne, warm von der Arbeit. Die 10
Roggenernte war kaum beschafft, und die Weizenernte hielt vor der Tür.
Einer zeigte eine Feldpostkarte. Eine wirkliche Feldpostkarte! Jan Peters,
der Großknecht, hatte, auf dem Bauche liegend, auf dem Tornister ge—
schrieben: „Der Major hat all die Kerls gefragt: „Was tut ihr, wenn die
ios tommen? Die Kerle schreien wie tausend Teufel und haben toll 15
gewordene Katzen auf dem Buckel?‘ Haben sie gerufen: ‚Wir hauen sie
Ius Maull‘ Das hat aber dem Major gepaßt, er ist höllisch fürs Ans—
Maulhauen. Ich für meine Person bin auch für Speck und Wurst! Aber
hier ist nichts, bloß verschimmeltes Brot und Turkos!“
„Hast du verstanden? Du sollst ihm Speck schicken.“
Meinst du, daß ich schwerhörig bin? Haller hat das Paket heute
mitgenommen.“
Rohde vom Eschenwinkel hatte Schlachtvieh nach Hamburg gebracht und
erzählte mit aufgeregter Stimme, obgleich er sonst ein sehr ruhiger Mann ist:
Was fur ein Leben auf den Bahnhöfen! Als wenn ein ganzes 25
Volk auswandert!“
„Na . . . Da muß auch Druck dahinter!“
„Aber der alte König Wilhelm!“ — „Na, ich sage!“ — „Wißt ihr,
wie die Leute die Eisenbahn nennen?“ — „Na?“ — „Das ist Bismarcks
schwarzer Hengst, sagen sie.“ — Ja, die Soldaten und die Pferde und 30
die Kanonen: Alles reitet darauf an den Rhein.“
„Ja, der Bismarck!‘ — Es war eine Weile still. „Als ich zurückfuhr,
war ein Mann im Zuge, der kannte Bismarck. Der sagte: Als sechs—
undsechzig der Friede gemacht werden sollle, hat er so lange auf den Tisch
geschlagen, bis sie klein beigelegt haben. Er sagte: Bismarck ist der 35
größte Mann im ganzen Heer.“ — „Na, ja . .. an Klugheit!“ — „Nein,
er meinte an Länge!“ — „Na, .. das kann auch sein.“ — „Er kann
alle Sprachen. Mit den Franzosen spricht er französisch, mit den Turkos
türkisch. Platt kann er auch. Er hat aber auch einen Schadel —
„Ja, Geist hat er.“ — „Fiduz hat er!“ — „Das ist es: Fiduz hat er!“
dJa, was heißt das, Fiduz?“) — „Na, das heißt: Er weiß, was er
288. Zwei Feldpostkarten.
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*) Fiduz stammt aus der lateinischen Sprache und bedeutet „Vertrauen“.