Full text: Für die Präparandenanstalt (Teil 1, [Schülerband])

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Prosa. C. Sagen. 
zurückzukehren und der Landstraße zu folgen. Veit aber hielt plötzlich still, 
oersammelte seine sechs Kinder um sich her und redete also: „Du wähnst, 
liebes Weib, daß wir zu deiner Freundschaft ziehen; dahin steht jetzt nicht mein 
Sinn. Deine reichen Vettern fiiib Knauser und Schurken, die, als ich weiland 
in meiner Armut Trost und Zuflucht bei ihnen suchte, mich gefoppt, gehöhnet 
und mit Übermut von sich gestoßen haben. — Hier wohnt der reiche Vetter, 
dem wir unsern Wohlstand verdanken, der mir aufs Wort das Geld geliehen, 
das in meiner Hand so wohl gewuchert hat. Auf heute hat er mich herbe¬ 
schieden, Zins und Kapital ihm wiederzuerstatten. Wißt ihr nun, wer unser 
Schuldherr ist? Der Herr vom Berge, Rübezahl genannt!" Das Weib 
entsetzte sich heftig über diese Rede, schlug ein großes Kreuz vor sich, und die 
Kinder bebten und gebärdeten sich ängstlich vor Furcht und Schrecken, daß 
sie der Vater vor Rübezahl führen wollte. Sie hatten viel in den Spinnstuben 
von ihm gehört, daß er ein scheußlicher Riese und Menschenfresser sei. Veit 
erzählte ihnen sein ganzes Abenteuer, wie ihm der Geist in Gestalt eines 
Köhlers auf sein Rufen erschienen sei, und was er mit ihm verhandelt habe 
in der Höhle, pries feine Mildtätigkeit mit dankbarem Herzen und so inniger 
Rührung, daß ihn: die warmen Tränen über die freundlichen, rotbraunen 
Backen herabträufelte:!. „Verzieht hier," fuhr er fort, „jetzt geh' ich hin in die 
Höhle, mein Geschäft auszurichten. Fürchtet nichts, ich werde nicht lange aus 
sein, und wenn ich's vom Gebirgsherrn erlangen kann, so bring' ich ihn zu euch. 
Scheuet euch nicht, eurem Wohltäter treuherzig die Hand zu schütteln, ob 
sie gleich schwarz und rußig ist; er tut euch nichts zuleide und freut sich seiner 
guten Tat und unsers Dankes gewiß! Seid nur beherzt, er wird euch goldene 
Äpfel und Pfeffernüsse austeilen." 
Ob nun gleich das bängliche Weib viel gegen die Wallfahrt in die Felsen¬ 
höhle einzuwenden hatte und auch die Kinder jammerten und weinten, sich 
um den Vater herlagerten und, da er sie auf die Seite schob, ihn an den Rock¬ 
falten zurückzuziehen sich anstemmten, so riß er sich doch mit Gewalt von 
ihnen in den dichtverwachsenen Busch und gelangte zu den wohlbekannten 
Felsen. Er fand alle Merkzeichen der Gegend wieder, die er sich wohl ins 
Gedächtnis geprägt hatte; die alte, halberstorbene Eiche, an deren Wurzel 
die Kluft sich öffnete, stand noch, wie sie vor drei Jahren gestanden hatte, 
doch von einer Höhle war keine Spur mehr vorhanden. Veit versuchte es 
auf alle Weise, sich den Eingang in den Berg zu eröffnen; er nahm einen 
Stein, klopfte an den Felsen; er sollte, meinte er, sich auftun; er zog den 
schweren Geldsack hervor, klingelte mit den harten Talern und rief,, so laut 
er konnte: „Geist des Gebirges, nimm hin, was dein ist." Doch der Geist 
ließ sich weder hören noch sehen. Also mußte sich der ehrliche Schuldner 
entschließen, mit seinem Säckel wieder umzukehren. Sobald ihn das Weib 
und die Kinder von ferne erblickten, eilten sie ihin freudevoll entgegen; er 
war mißmutig und bekümmert, daß er seine Zahlung nicht an die Behörde 
abliefern konnte, setzte sich zu den Seinen auf einen Rasenrain und überlegte,
	        
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