Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminare

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O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspellt! 
O Ulrich, tapf'rer Ritter, dich hat das Schwert gefällt! 
9. Da ruft der alte Recke, den nichts erschüttern kann 
„Erschreckt nicht! Der gefallen, ist wie ein andrer Mann. 
Schlagt drein! Die Feinde fliehen!“ Er ruft's mit Donnerlaut; 
Wie rauscht sein Bart im Winde! hei! wie der Eber haut! 
10. Die Städter han vernommen das seltsam list'ge Wort. 
„Wer flieht?“ so fragen alle; schon wankt es hier und dort. 
Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied: 
Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied. 
11. Was gleißt und glänzt da droben und zuckt wie Wetterschein? 
Das ist mit seinen Reitern der Wolf von Wunnenstein. 
Er wirft sich auf die Städter, er sprengt sich weite Bucht: 
Da ist der Sieg entschieden, der Feind in wilder Flucht. 
12. Im Erntemond geschah es; bei Gott, ein heißer Tag! 
Was da der edeln Garben auf allen Feldern lag! 
Wie auch so mancher Schnitter die Arme sinken läßt, 
Wohl halten diese Ritter ein blutig Sichelfest. 
13. Noch lange traf der Bauer, der hinterm Pfluge ging, 
Auf rost'ge Degenklinge, Speereisen, Panzerring; 
Und als man eine Linde zersägt und niederstreckt, 
Zeigt sich darin ein Harnisch und ein Geripp versteckt. 
14. Als nun die Schlacht geschlagen und Sieg geblasen war, 
Da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar: 
„Hab' Dank, du tapfrer Degen und reit mit mir nach Haus, 
Daß wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauß!“ 
15. „Hei!“ spricht der Wolf mit Lachen, „gefiel euch dieser Schwank? 
Ich stritt aus Haß der Städte und nicht um euren Dank. 
Gut' Nacht und Glück zur Reise! Es steht im alten Recht.“ 
Er spricht's und jagt von dannen mit Ritter und mit Knecht. 
16. Zu Döffingen im Dorfe da hat der Graf die Nacht 
Bei seines Ulrichs Leiche, des einz'gen Sohns, verbracht. 
Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht: 
Ob er vielleicht im stillen geweint, man weiß es nicht. 
17. Des Morgens mit dem frühsten steigt Eberhard zu Roß; 
Gen Stuttgart fährt er wieder mit seinem reis'gen Troß: 
Da kommt des Wegs gelaufen der Zuffenhauser Hirt'; 
„Dem Mann ist's trüb' zu Mute; was der uns bringen wird?“ 
18. „Ich bring' euch böse Kunde! Nächt ist in unsern Trieb 
Der gleißend' Wolf gefallen: er nahm, so viel ihm lieb.“ 
Da lacht der alte Greiner in seinem grauen Bart: 
„Das Wölflein holt sich Kochfleisch, das ist des Wölfleins Art.“ 
19. Sie reiten rüstig fürder; sie sehn aus grünem Thal 
Das Schloß von Stuttgart ragen; es glänzt im Morgenstrahl. 
Da kommt des Wegs geritten ein schmucker Edelknecht: 
„Der Knab' will mich bedünken;, als ob er Gutes brächt'.“
	        
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