Full text: Länderkunde von Europa ohne das Deutsche Reich, Die koloniale Stellung der europäischen Mächte (Teil 5)

Das Deutsche Reich im 14. und 15. Jahrhundert. 
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der Lage adelige Rebellen von sich aus erfolgreich zu bekämpfen; ein energisches 
Eingreifen der Neichsgewalt war nicht mehr nötig. 
Der deutsche König war ursprünglich oberster Richter; die Grafen und alle 
andern Gewalten richteten nur in seinem Namen; überall, wo der König erschien, 
war ihm das Gericht ledig. Grundsätzlich war das auch im spätem Mittelalter 
noch so; nur waren die Grafschaften längst erblich geworden und ihre Inhaber 
hatten verschiedene andere Gewalten erworben, so daß sie meist als Landes- 
Herren dastanden. Dem König war so wenig von seiner Gerichtshoheit geblieben; 
auch das königliche Evokationsrecht, kraft dessen er nach Belieben in jeder noch 
nicht rechtskräftig erledigten Sache selbst entscheiden konnte, wurde beseitigt. 
Die alte Gerichtsverfassung hatte freie Leute zur Voraussetzung; aber in 
größerer Zahl hatten sich Freie nur in Westfalen erhalten und dort bestanden 
auch im wesentlichen unverändert die königlichen Gerichte noch fort, Femgerichte 
genannt. Es war das Gericht von Freien über Freie unter Leitung des Grafen. 
Weil man aber im größten Teile des Reiches von Freien und gräflichem Gerichte 
nichts mehr wußte, so erschien den Zeitgenossen der westfälische Zustand als 
merkwürdige Ausnahme. 
Seitdem die alte Gerichtsverfassung durchbrochen und die niedere Gerichts- 
barkeit im Hofgericht x), die hohe im landesherrlichen Gericht aufgegangen war, 
fehlte es an einer überall gegenwärtigen Königsgewalt. Die 
Person des Königs war dem Volke meist fremd und eine ordentliche Ver- 
tretung königlicher Rechte bestand nicht. Ja, es fehlte in der kaiserlichen 
Kanzlei sogar an einem Verzeichnisse der Reichsglieder; es mangelte ihr an 
jeder Unterlage um Rechtsansprüche und Tatsachen jeweils miteinander in Ein- 
klang zu bringen. 
Der Mangel einer Reichsexekutivgewalt ward nicht weniger schmerz- 
lich empfunden; denn wer reichsrechtlich einen Titel erwarb, mußte sich ihn in 
der Regel erst erkämpfen. Wo die Reichsacht verkündet wurde, fehlte es an 
Mitteln sie zu vollziehen. Wo das Reich strafend auftreten wollte, war es vom 
guten Willen und den zufälligen Mitteln der mit der Reichsexekution beauf- 
tragten Reichsstände abhängig. Im 16. Jahrhundert, als die Kreiseinteilung 
schon bestand und die Ausführung erheblich erleichterte, ist auch eine Reichs- 
exekutionsOrdnung zustande gekommen — zu spät: alle politische Macht lag 
damals schon in der Hand der Fürsten. 
') Seit 1450 wurden die kaiserlichen Richter, die bisher dem Adelstande angehört 
hatten, durch das Hofgericht verdrängt, das aus Juristen bestand, die nach dem römischen 
Rechte gebildet waren.
	        
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