Das Deutsche Reich im 14. und 15. Jahrhundert.
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der Lage adelige Rebellen von sich aus erfolgreich zu bekämpfen; ein energisches
Eingreifen der Neichsgewalt war nicht mehr nötig.
Der deutsche König war ursprünglich oberster Richter; die Grafen und alle
andern Gewalten richteten nur in seinem Namen; überall, wo der König erschien,
war ihm das Gericht ledig. Grundsätzlich war das auch im spätem Mittelalter
noch so; nur waren die Grafschaften längst erblich geworden und ihre Inhaber
hatten verschiedene andere Gewalten erworben, so daß sie meist als Landes-
Herren dastanden. Dem König war so wenig von seiner Gerichtshoheit geblieben;
auch das königliche Evokationsrecht, kraft dessen er nach Belieben in jeder noch
nicht rechtskräftig erledigten Sache selbst entscheiden konnte, wurde beseitigt.
Die alte Gerichtsverfassung hatte freie Leute zur Voraussetzung; aber in
größerer Zahl hatten sich Freie nur in Westfalen erhalten und dort bestanden
auch im wesentlichen unverändert die königlichen Gerichte noch fort, Femgerichte
genannt. Es war das Gericht von Freien über Freie unter Leitung des Grafen.
Weil man aber im größten Teile des Reiches von Freien und gräflichem Gerichte
nichts mehr wußte, so erschien den Zeitgenossen der westfälische Zustand als
merkwürdige Ausnahme.
Seitdem die alte Gerichtsverfassung durchbrochen und die niedere Gerichts-
barkeit im Hofgericht x), die hohe im landesherrlichen Gericht aufgegangen war,
fehlte es an einer überall gegenwärtigen Königsgewalt. Die
Person des Königs war dem Volke meist fremd und eine ordentliche Ver-
tretung königlicher Rechte bestand nicht. Ja, es fehlte in der kaiserlichen
Kanzlei sogar an einem Verzeichnisse der Reichsglieder; es mangelte ihr an
jeder Unterlage um Rechtsansprüche und Tatsachen jeweils miteinander in Ein-
klang zu bringen.
Der Mangel einer Reichsexekutivgewalt ward nicht weniger schmerz-
lich empfunden; denn wer reichsrechtlich einen Titel erwarb, mußte sich ihn in
der Regel erst erkämpfen. Wo die Reichsacht verkündet wurde, fehlte es an
Mitteln sie zu vollziehen. Wo das Reich strafend auftreten wollte, war es vom
guten Willen und den zufälligen Mitteln der mit der Reichsexekution beauf-
tragten Reichsstände abhängig. Im 16. Jahrhundert, als die Kreiseinteilung
schon bestand und die Ausführung erheblich erleichterte, ist auch eine Reichs-
exekutionsOrdnung zustande gekommen — zu spät: alle politische Macht lag
damals schon in der Hand der Fürsten.
') Seit 1450 wurden die kaiserlichen Richter, die bisher dem Adelstande angehört
hatten, durch das Hofgericht verdrängt, das aus Juristen bestand, die nach dem römischen
Rechte gebildet waren.