Full text: Von Wulfila bis zur Sturm- und Drangzeit (1, [Schülerband])

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Nachbarlich dort im Schatten des blütendoldigen Flieders 
Nagte des Festmahls Knochen Packan und murrete seitwärts 
Gegen die laurende Katz' und schnappte sich sumsende Fliegen. 
Aber Mama, sanftlächelnd der wohlbekannten Erzählung, 
Zupfte geheim Luisen, die neben ihr saß, an dem Ärmel, 
Neigt' ihr nahe das Haupt und begann mit leisem Geflüster: 
„Gehen wir noch in den Wald, mein Töchterchen? Oder gefällt dir's, 
Weil die Sonne so brennt, in der Geißblattlaub' an dem Bache 
Deine Geburt zu seiren? Du blickst ja so scheu und errötest!" 20 
Hold erstaunt antwortete drauf das rosige Mägdlein: 
„Nicht in der Laube, Mama! Das Geißblatt duftet des Abends 
Viel zu streng', und zumal mit der Lilien und der Reseda 
Dufte vermischt; auch schwärmen die Mücken so wild an dem Bache. 
Lieblich scheint ja die Sonn', und am waldigen Ufer ist Kühlung." 
Und zu dem Pfarrer begann die alte, verständige Hausfrau: 
„Väterchen, danken wir Gott? Luise begehrt den Geburtstag 
Lieber im Wald als unten am Bach in der Laube zu feiern. 
Lieblich scheint ja die Sonn', und am waldigen Ufer ist Kühlung. 
Jetzo mein Rat. Herr Walter, der kleine Graf und Luise 30 
Geh'n voran und wählen den Ort und suchen uns Brennholz. 
O der Besuch auf 'dem Schloß! Mit Amalia wäre der Gang doch 
Lustiger! Aber wir beiden Gemächlichen fahren den Richtweg 
Über den See; der Verwalter, das wissen wir, leihet uns gerne 
Seinen Kahn. Doch wünscht' ich, daß unser Papa noch ein wenig 
Schlummerte. Mittagsschlaf ist die angenehmste Erquickung 
Alter Leut' im Sommer, zumal in der Blüte der Bohnen." 
Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau: 
„Hört Er, mein Sohn, wie sie waltet, die Herrscherin? Aber ich muß schon 
Folgsam sein; denn es gilt den Geburtstag meiner Luise. 40 
Kinder, wir beten zu Gott, bem Unendlichen! Betet mit Ehrfurcht!" 
Dieses gesagt, entblößte der redliche Vater die Scheitel, 
Glänzend kahl und umringt von schneeweiß prangendem Haare, 
Senkte den Blick demütig unb sprach mit gefalteten Händen: 
„Lieber Gott, der du alles, was lebt, mit Freud' und Erquickung 
Sättigest, höre den Dank, den deine Kinder dir stammeln! 
Wir sind Staub. O beschirme, wenn's frommt, in dem Leben der Prüfung 
30—32 Amalia, die junge Gräfin auf dem benachbarten Schlosse, Luisens 
Freundin; Walter, der Erzieher des jungen Grafen Karl. 38 Grünau, ein 
erdichtetes holsteinisches Dorf.
	        
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