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Mutterherz und in der Mark das andre; sie haben beide vom Scheiden ihrer
Kinder gehört, haben ihre letzten Worte vernommen und wissen: Sie sind
nun droben beieinander, Leutnant und Rekrut, und habews beide recht gemacht,
Rekrut und Leutnant.
87. Der Untergang des Kanonenboots „Iltis".
Heinrich v. Holleben.
In den fernsten Meeren, bei Tage und bei Nacht, in Regen und Sturm
muß der Seemann seine Wege auf dem pfadlosen Ozean finden. Er wird von
jung aus an die Gefahren des Meeres gewöhnt. Er lernt mit Erfolg, ihnen
zu trotzen; wenn sie aber vernichtend über ihn hereinbrechen, wenn Wogen und
Klippen sich stärker erweisen als er und sein Schiss, dann weiß der deutsche
Seemann in seinem Pflichtbewußtsein, in seiner Treue zum Kaiser und zum
Vaterlande mit Entschlossenheit und Mannesmut selbst das Schwerste zu
erleiden.
Am 23. Juli 1896 hatte das deutsche Kanonenboot „Iltis" den chinesischen
Hafen Tschisu verlassen und steuerte südlich. In der Nacht wurde das Schiss
vom Sturm erfaßt, durch Strömung und Wind zu nahe ans Land geführt
und endlich auf die Felsen der Lan-Kau-Bai geworfen. Es war um 11 Uhr,
die Nacht war schauerlich. Eine Wind-Bö jagte die andere, und der Sturm
steigerte sich zum Orkan. Soweit das Auge der Schiffbrüchigen reichte, war
nichts ünderes zu erblicken als ein feuriger Gürtel der an den Felsen brandenden
Wogen. Die Maschine versagte beim ersten Anprall auf die Klippen; an eine
Rettung der Mannschaft durch Leute vom Lande, an ein Netten durch die
eigenen Boote war kaum zu denken. Die Lage war verzweifelt, die schweren
Grundseen hoben und senkten das Schiff, es jedesmal wieder mit erschüttern¬
dem Krachen auf die Felsen niederschmetternd. Stützen und Balken bogen sich,
die Verbindungen lösten sich und zerrissen, und bald war das schöne Schiff ein
hilfloses Wrack, in das die Fluten ungehindert eindrangen. Als das Schiff in
der Mitte auseinander zu bersten drohte, versammelte der Kapitänleutnant
Braun zum letzten Maie seine Mannschaft um sich. Seine Worte überhallten
einen Augenblick den Sturm, und als das Hoch auf unsern Kaiser verklang,
da brach das Schiff auseinander, und die Wogen verschlangen den tapferen
Kommandanten und alle, die um ihn standen.
Unentwegt lag indessen der Ober-Feuerwerksmaat Naehm seiner Pflicht ob,
vom Vorschiff aus Raketen abzubrennen, um damit Hilfe herbeizurufen. Als
alle Mittel umsonst erschöpft waren, da stimmte er mit dem Neste der Leute
das deutsche Flaggenlied an, und singend, wie vor zweitausend Jahren unsere
Vorfahren, so gingen sie in den letzten Todeskampf, bis einer nach dem andern
von den gierigen Wellen hinweggespült wurde, Helden vom Jüngsten bis zum
Ältesten. Nur elf Mann der Besatzung wurden gerettet, die andern einund¬
siebzig ruhen jetzt am Vorgebirge Schantung, und ein Obelisk aus Marmor
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