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Der Bart wallte lang, gegen die alte Sitte der Sachsen, auf die Brust herab,
die gleich der des Löwen dicht bewachsen war. Er trug die heimische
Kleidung und mied ausländischen Prunk; auch sprach er nur seine säch¬
sische Mundart, obschon er des Romanischen und Slavischen nicht ganz un-
5 kundig war. Sein Tag verstrich zwischen Arbeit und Gebet, Staatsgeschäften
und Gottesdienst. Die Nachtruhe maß er sich kärglich zu, und da er im
Schlafe zu sprechen pflegte, schien er auch dann zu wachen. Freigebig,
gnädig, leutselig und freundlich, zog er wohl die Herzen an sich; aber doch
war er mehr gefürchtet als geliebt. Sein Zorn, ob auch Jahre diesen harten
10 Sinn weicher gemacht hatten, war schwer zu ertragen. Der alte Kaiser
konnte noch streng bis zur Härte sein; selbst der junge Kaiser bebte vor
dem Groll des Löwen, wie er seinen Vater zu nennen pflegte. Die eiserne
Willenskraft, die Otto schon in seiner Jugend verriet, hat er bis an sein
Ende bewahrt. Treu blieb ihm das Streben nach großen würdigen Taten,
15 das noch am Abend seines Lebens die Seele mit Jugendkraft erfüllte. Und
auch jene edlen Gaben, die man schon im Jüngling pries, felsenfeste Treue
gegen Freunde und Großmut gegen gedemütigte Feinde, blieben der Schmuck
seines Alters. Niemals gedachte er wieder eines Vergehens, wenn er es
einmal verziehen hatte. Von seiner königlichen und kaiserlichen Würde
20 hatte er die höchste Vorstellung. Die Krone, die er einzig und allein Gottes
besonderer Gnade zu danken meinte, setzte er nie auf das Haupt, ohne
vorher gefastet zu haben. Wer sich gegen seine Majestät erhob in dem
sah er einen Frevler an Gottes Gebot.
Die Stadt Magdeburg, die Otto vor allen andern erhöht hatte, und
25 die ihn als ihren Gründer ansehen kann, hat sein Andenken schon vor
alters durch ein ehernes Standbild geehrt. In dem prachtvollen Dome der
Stadt, der später erbaut ist, ruhen jetzt inmitten des hohen Chores die Ge¬
beine des großen Kaisers, nicht weit von der Ruhestätte der guten Königin
Editha. Ein prunkloses Denkmal bezeichnet die Stelle, eine der denk-
30 würdigsten in unserem Vaterlande; denn dort ruhen die Gebeine des ein¬
zigen deutschen Kaisers des alten Reiches, dem Mitwelt und Nachwelt
den Namen des Großen nicht verweigert haben.
268. Das Mainzer Reichtest im Mai 1184.
Otto Abel.
35 Als der Wonnemond des Jahres 1184 gekommen war, da brachen aus
allen deutschen Gauen die Fürsten und Ritter auf und zogen „in Schiffen und
auf Straßen" gen Mainz, wohin sie Kaiser Friedrich I. geladen hatte, der
Schwertleite (Wehrhaftmachung) seiner beiden ältesten Söhne beizuwohnen.
Keiner wollte durch sein Ausbleiben den hohen Herrn kränken oder den Glanz
40 des Reichstages verringern, noch auch die Gelegenheit versäumen, durch die
Pracht des Aufzuges und die Größe des Gefolges seine eigene Macht und seinen
Reichtum zu bekunden. Da erschienen der Landgraf von Thüringen mit über
tausend, der Erzbischof Philipp von Köln mit siebzehnhundert, der Abt von