Full text: Prosa für Lehrerseminare (Teil 3)

ich ihm bringen; wer trinken will ein'n guten Wein, der mutz auch mit 
mir singen; trink, mein liebes Brüderlein!" Und dann erschallen zahl¬ 
reiche Weinlieder und Rundgesänge, und je fleitziger die Sitzung wird, 
desto eher kommen Trinkturniere und Zechmessen heran. Freilich mutz 
mancher singen: „Wo soll ich mich hinkehren, ich dummes Brüder- 5 
lein? Wie soll ich mich ernähren, mein Gut ist viel zu klein!" Aber 
bei ihm würde auch grötzeres Gut nicht haften; denn, singt er weiter: 
„Hätt' ich das Kaisertum, dazu den Zoll am Rhein, und wär' Venedig 
mein, so wär' es all verloren, es müßt' verschlemmet sein." Doch 
nicht allein für das wilde Gelage und den liederlichen Schlemmer, auch 10 
für die reine Freude an der schönen Gottesgabe des Rebensaftes gibt 
es Lieder. Und dann kommt Fastnacht heran mit Vermummungen, 
Schönbarlspiel und bunter Schellenlust, und auch dafür ist allerlei 
fröhlicher Sang und Spatz vorhanden. 
Wie jede Jahreszeit und jedes Fest, so wird jeder Stand, jedes 15 
Handwerk in Liedern gepriesen. Da singt der Schreiber, und er mutz 
ja wohl singen; denn: „Papiers Natur ist rauschen, und rauschen will 
es viel; man kann's nit wohl vertuschen, dann es stets rauschen will." 
Da singt der Drucker das Lob seines Ordens, der Müller, Weber, 
Metzger, Schuster, Schneider zum Ruhme seiner Gilde oder auch wohl 20 
ein Spottlied auf die andere. Der Hirt auf den Alpen wie der Schiffer, 
der nach Norden fährt, haben ihre Lieder. 
Eine Fülle charakteristischer Züge aus dem bewegten Kriegsleben 
der Zeit weisen die Reiter- und Landsknechtlieder auf. Keine betzre 
Lust weitz sich ein wilder Bursch zu Pferde als durch die Welt zu traben, 25 
täglich neue Städte zu besehen und Beute zu machen, und wenn die 
Taschen voll sind, das Erbeutete in Saus und Braus aufgehen zu 
lassen. Leicht und keck wird der Weiber Gunst gewonnen, und an 
Treue ist nicht zu denken. Nur selten ertönt ein inniges Lied als Aus¬ 
druck tiefer Neigung. Auch klingen die Gulden nicht immer im Säckel, 30 
und dann heitzt es: „Ich bin's ein armer Reutersknab', ich hab' ver¬ 
zehrt all, was ich hab', und all mein' Hab' steht hinter dem Wirt." 
Der aber will den Gast nicht ziehen lassen: „Bezahl du mir den 
kühlen Wein, dazu die gebraten Hühnlein gut. Wann du mich dann 
bezahlet hast, so hab Urlaub, mein werter Gast!" Da kommt Hilfe »s 
in der Verlegenheit: „Die Wirtin sah den Reuter an, er deucht' sie 
sein ein höflich Mann, sie bot ihm ihr' schneeweitze Hand, dazu die 
guten Gülden rot, die halfen dem guten Schlucker aus aller seiner 
Not." Solche Wirtinnen sind aber selten, und wenn es gar keinen Ver¬ 
dienst gibt, dann heitzt es: „Mutz reiten und rauben, stehlen wie ro
	        
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