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und Fortschleicher im alten Geleise und die sonst nichts wollten oder
könnten. Straft sie durch die Tat der Lüge und ergreifet hierzu die
jetzt euch dargebotene Gelegenheit; legt ab jene Verachtung für gründ¬
liches Denken und Wissenschaft, laßt euch bedeuten und höret und lernet,
was ihr nicht wißt; sonst behalten eure Ankläger recht.
Diese Reden beschwören euch Denker, Gelehrte und Schrift¬
steller, die ihr dieses Namens noch wert seid. Jener Tadel der Ge¬
schäftsmänner an euch war in gewissem Sinne nicht ungerecht. Ihr ginget
oft zu unbesorgt in dem Gebiete des bloßen Denkens fort, ohne euch
um die wirkliche Welt zu bekümmern und nachzusehen, wie jenes an
diese angeknüpft werden könne; ihr beschriebet euch eure eigene Welt
und ließet die wirkliche zu verachtet und verschmähet auf der Seite
liegen. Zwar muß alle Anordnung und Gestaltung des wirklichen
Lebens ausgehen vom höheren, ordnenden Begriffe, und das Fortgehen
im gewohnten Geleise tut's ihm nicht; dies ist eine ewige Wahrheit
und drückt in Gottes Namen mit unverhohlener Verachtung jeglichen
nieder, der es wagt, sich mit den Geschäften zu befassen, ohne dieses zu
wissen. Zwischen dem Begriffe jedoch und der Einführung desselben
in jedwedes besondere Leben liegt eine große Kluft. Diese Kluft aus¬
zufüllen ist sowohl das Werk des Geschäftsmannes, der freilich schon
vorher so viel gelernt haben soll, um euch zu verstehen, als auch das
eurige, die ihr über der Gedankenwelt das Leben nicht vergessen sollt.
Hier trefft ihr beide zusammen. Statt über die Kluft hinüber einander
scheel anzusehen und herabzuwürdigen, beeifere sich vielmehr jeder
Teil von seiner Seite, dieselbe auszufüllen und so den Weg zur Ver¬
einigung zu bahnen. Begreift es doch endlich, daß ihr beide unter¬
einander euch also notwendig seid, wie Kopf und Arm sich not¬
wendig sind.
Diese Reden beschwören noch in anderen Rücksichten euch Denker,
Gelehrte, Schriftsteller, die ihr dieses Namens noch wert seid. Eure
Klagen über die allgemeine Seichtigkeit, Gedankenlosigkeit und Ver-
flossenheit, über den Klugdünkel und das unversiegbare Geschwätz,
über die Verachtung des Ernstes und der Gründlichkeit in allen Stän¬
den mögen wahr sein, wie sie es denn sind. Aber welcher Stand ist
es denn, der diese Stände insgesamt erzogen hat, der ihnen alles
Wissenschaftliche in ein Spiel verwandelt und von der frühesten Jugend
an zu jenem Klugdünkel und jenem Geschwätz sie angeführt hat? Wer
ist es denn, der auch die der Schule entwachsenen Geschlechter noch
immerfort erzieht? Der in die Augen fallendste Grund der Dumpfheit
des Zeitalters ist der, daß es sich dumpf gelesen hat an den Schriften,
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