Full text: Prosa für Lehrerseminare (Teil 3)

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ihr Regierer; selber in einer beinahe bewegungslosen Ruhe, aber dabei 
Urheber von Bewegungen, welche die Welt umfaßten. Wie er über 
seinen Geschäften alt und grau und müde geworden und seine Augen 
dunkel, läßt er doch von ihnen nicht ab; seine Tochter, die sich ganz 
5 nach seinen Wünschen gebildet, der er von Herzen zugetan ist, der 
er auch noch des Nachts eine günstige Nachricht mitzuteilen geht, die 
Infantin Isabella, verweilt drei bis vier Stunden bei ihm; und wenn 
er sie gleich nicht in alle Geheimnisse einweiht, so hilft sie ihm doch die 
Bittschriften, die Eingaben der Privatleute lesen und die innere Re- 
gierung besorgen. 
Was ist es nun, was er in einem langen Leben so unablässig treibt? 
Ist es das Glück der Reiche, deren Leitung ihm anvertraut worden? 
das Wohlbefinden seiner Untertanen? Man hätte es glauben mögen, 
solange er in den ersten Zeiten sich von den Plänen und der Ruhm- 
i5 begier seines Vaters fernzuhalten und nur seine eigenen Länder im 
Auge zu haben schien. Doch bald begann er auf die allgemeinen Ver¬ 
wickelungen lebhaft einzuwirken. Hatte er dann, wie vielleicht das Ver¬ 
mögen so auch die Absicht, die Wunden der damaligen Welt zu heilen? 
Wir können weder das eine noch das andere behaupten. Gehorsam 
so und katholische Religion zu Hause; katholische Religion und Unter¬ 
werfung in den andern Ländern: das ist es, was ihm am Herzen liegt, 
das Ziel aller seiner Arbeit. Er selbst ist dem äußern Gottesdienste 
der katholischen Kirche mit einer mönchischen Anhänglichkeit zugetan. 
Um Erzherzogen, die ihn besucht haben, zu zeigen, wie ehrwürdig ein 
25 Priester sei, küßt er einem solchen nach der Messe die Hand. Einer 
vornehmen Dame, die auf die Stufen des Altars tritt, sagt er: „Das 
ist kein Platz, weder für Euch, noch auch für mich." Wie emsig, mit 
wie vieler Sorgfalt, wie vielen Kosten bringt er aus den Ländern, 
welche protestantisch geworden, die Reliquien zusammen, damit diese 
so Schätze nicht für die katholische Christenheit verloren gehen! Es ist 
dies wohl nicht innere Religion; aber zu einer Art innerer Religion, 
welche die Gesinnung zu bestimmen vermag, wird ihm die Über¬ 
zeugung, er sei dazu geboren, diesen äußeren Dienst aufrecht zu erhalten: 
er sei die Säule der Kirche; das sei sein Auftrag von Gott. Erlangt 
35 er nun hierdurch, daß die meisten Spanier, voll einer ähnlichen Gesin¬ 
nung, wie ein Italiener sagt, ihn nicht lieben, nicht verehren, sondern 
anbeten, daß sie seine Befehle für so heilig halten, daß man sie nicht 
übertreten könne, ohne Gott zu verletzen: so werden ihm zugleich, durch 
eine sonderbare Illusion, wenn wir anders mit Recht annehmen, daß 
4v seine Äußerungen mehr von einer inneren Täuschung ausgingen, als
	        
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