Full text: Prosa für Lehrerseminare (Teil 3)

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über aber herrscht noch milde Wärme; die Morgennebel sind unter 
den Strahlen der Sonne zerronnen; ein wolkenloser Himmel spannt 
sich über die Landschaft, und laue Lüfte, in welchen die weißen Fäden 
der Wanderspinnen schweben, ziehen von Osten her durch das Strom- 
tal. Die ersten Reife sind das Signal für den Beginn der Weinlese; 
auf dem mit Reben bepflanzten Gelände wird es lebendig, und der 
Ruf des Winzers schallt von Hügel zu Hügel. Sie sind aber auch 
das Signal für die Verfärbung der Waldbestände auf den Berg¬ 
hohen und in den Auen. 
Welcher Reichtum der Farben ist da entfaltet! Die Kronen der 
Kiefern bläulichgrün, die schlanken Wipfel der Fichten schwarzgrün, 
das Laub der Hainbuchen, Ahorne und weißstämmigen Birken hell¬ 
gelb, die Eichen bräunlichgelb, die mit Buchen bestandenen breiten 
Waldstreifen in allen Abstufungen von Gelbrot zu Braunrot, die 
Kirsch- und Vogelbeerbäume, die Zwergweichsel und die Sträucher 
des Sauerdornes scharlachrot, die Ahlkirschen und Atlasbeerbäume 
purpurn, der Hartriegel und Spindelbaum violett, die Espen orange, 
die Silberpappel und die Silberweiden weiß und grau, die Erlen 
trübe braungrün. Und alle diese Farben sind in der mannigfaltigsten 
und anmutigsten Weise verteilt: hier erscheinen dunklere Flächen, 
von hellen, breiten Bändern und schmalen, gewundenen Streifen durch¬ 
zogen; dort ist der Waldbestand gleichmäßig gesprenkelt, dort wieder 
leuchtet auf grünem Grund die Feuergarbe eines einzelnen Kirsch¬ 
baumes oder die Krone einer in den Föhrenbestand eingesprengten 
einzelnen goldgelb schimmernden Birke auf. Diese Farbenpracht dauert 
freilich nur kurze Zeit. Ende Oktober stellen sich die ersten Fröste 
ein, und wenn dann der Nordwind über die Berghöhen braust, wird 
all das rote, violette, gelbe und braune Laub von den Zweigen ge¬ 
schüttelt, im bunten Wirbel über den Boden hingetrieben und längs 
der Hecken und Windfänge zusammengeweht. Rach wenigen Tagen 
erhält die den Boden bedeckende Laubschicht einen einförmigen, braunen 
Farbenton, und wieder nach einigen Tagen ist sie unter der Schnee¬ 
decke des Winters begraben. 
Bei weitem länger als in den mitteleuropäischen Waldlandschaften 
dauert die herbstliche Verfärbung des Laubes in jenem Teile des 
nordamerikanischen Waldgebietes, dessen Vegetation mit der eben 
geschilderten der Alten Welt die größte Ähnlichkeit besitzt, das ist 
m dem Gebiete des Lorenzstromes und von den Kanadischen Seeen 
bis hinab zu beiden Seiten des Alleghanygebirges nach Virginia und 
Kentucky. Auch dort ist immergrünes Nadelholz mit sommergrünem 
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