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112. Die Rettung. 113. Der kleine Hydriot.
112. Die Rettung.
Aus schmalem Pfad, wo rechts die Fluth
sich breitet,
Links Felsen sich erheben kühn und hehr,
Am steilen Rand des Bramaputra schreitet
Einsam und müd' ein Wandersmann daher.
Da sieht er oben aus den schroffen Zinken,
Zum Sprung ansetzend, einen Tiger drohn,
Wie soll er fliehn? ErsiehtdieWogenblinken,
Und will sich ihrem Schooß vertrauen schon.—
Doch weh! dort unten in den Wellen lauert
Auf ihn ein Krokodil mit offnem Schlund;
Er sieht's und stürzt zu Boden, angstdurch-
schauert,
Und betet nur noch leis mit bleichem Mund.
In diesem Augenblick mit jähem Sprunge
Schießt über seinem Haupt der Tiger fort,
Und fährt, dahingerissen von dem Schwünge,
In seinen Schlund, dem Krokodile dort.
Verzage nie! Was deinem Aug' Vollendung
Des Unglücks däucht und volle Schicksalsnacht,
Das ist oft nur zum bessern Loos die Wendung,
Und kündet, daß der Rettung Stern bald lacht.
H. viehoff.
113. Der kleine Hydriot.
Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein,
Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein
Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand
Und in die Fluthen tauchen bis nieder auf den Sand.
Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab,
Und dreimal mußt' ich's holen, eh' er's zum Lohn mir gab.
Dann reicht' er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich gehn,
Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn,
Wies mir, wie man die Wogen mit scharfem Schlage bricht,
Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht.
Und von dem kleinen Kahne ging's flugs ins große Schiff;
Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff.
Ich saß auf hohem Maste, schaut' über Meer und Land,
Es schwebten Berg' und Thürme vorüber mit dem Strand.
Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug,
Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug;
Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Fluth,
Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut,
Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht —
Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht, —
Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so roth:
„Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hydriot!"
Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand,
Er weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland.
Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zeh'n,
Mir war's, als thät sein Auge hinab ins Herz mir sehn.
Ich hielt mein Schwert gen Himmel und schaut' ihn sicher an
Und däuchte mich zur Stunde nicht schlechter als ein Mann.
Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so roth:
„Glück zu mit deinem Schwerte, du kleiner Hydriot!"
with. Müller.