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zarten Baum an seine Laube. Froher spielten anjetzt die Lüfte
mit seinen Reben; die Glut der Sonne durchdrang ihre harten,
grünenden Körner, bereitend in ihnen den sülsen Saft, den Trank
für Götter und Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt, neigte
bald der Weinstock sich zu seinem Herrn nieder, und dieser s
kostete seinen erquickenden Saft und nannte ihn seinen Freund.
Die stolzaen Bàume beneideten jetzt die schwanke Ranke; denn
viele von ihnen standen schon entfruchtet da; er aber freute sich
seiner schlanken Gestalt und seiner harrenden Hoffnung.
Darum erfreut sein Saft noch jetzt des Menschen Herz und io
hebt empor den niedergesunkenen Mut und erquickt den Be—
trübten.
Verzage nicht, Verlassener, und harre duldend aus! Im unan-
sehnlichen Rohre quillt der süsseste Saft; die schwache Rebe
gebiert Begeistrung und Entzückung. i5
38. Die Zeder.
Wolfgang Goethe. Werke. Tl. UI (Gediehte, III). Berlin Hempel) o. J.
Eine Zeder wuchs auf zwischen Tannen; sie teilten mit ihr
Regen und Sonnenschein. Und sie wuchs und wuchs über ihre
Haàupter und schaute weit ins Tal umher. Da riefen die Tannen:
„Ist das der Dank, dass du dich überhebest, dich, die du so Klein
warst, dich, die wir genährt haben?“ Und die Zeder sprach: 5
„Rechtet mit dem, der mich wachsen hielfs!“
Und um die Zeder stunden Dornsträucher. Die ergrimmeten,
dals sie so herrlich dastund in ihrer Kraft vor dem Antlitz des
Himmels, und riefen: „Wehe dem Stolzen, er überhebt sich seines
WVuchses!“ Und wie die VWinde die Macht ihrer öste bewegten 10
und Balsamgeruch das Land erfüllte, wandten sich die Dörner
und schrieen: Wehe dem Übermütigen! Sein Stolz braust auf
wie Wellen des Meeres! Verdirb ihn, Heiliger vom Himmel!“
Da nun die Männer kamen vom NMeer und die Axt ihr an
die Wurzel legten, da erhub sich ein Frohlocken: „Also strafet 15
der Herr die Stolzen, also demütigt er die Gewaltigen!“
Und sie stürzte und zerschmetterte die Frohlocker, die ver—
zettelt wurden unter dem Reisig.
Und sie stürzte und rief: „Ich habe gestanden, und ich werde
stehen!“ Und die Männer richteten sie auf zum Maste im Schiffe —
des Königs, und die Segel wehten von ihm her und brachten die
Schaätze aus Ophir in des Königs Kammer.