Contents: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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174. Vom Alkohol. 
Ursprünglich genoß der Mensch nur das als Getränk, was die 
Natur ihm freiwillig bot: Wasser, Milch, Fruchtsäfte und Wein; 
erst nach und nach wurden durch umständliche Gewinnungs- und 
Zubereitungs-Methoden eine ganze Reihe neuer Trinkquellen er¬ 
schlossen. Verschiedene Gewohnheiten bildeten sich rasch mit heraus, 
die den Naturgesetzen widersprachen. Aus den Trinksitten wurden 
Trinkunsitten, Trinkunfug. Der Genuß alkoholhaltiger Getränke 
brachte der Menschheit zweifellos allerlei Schäden: Krankheit, Elend 
und Verbrechen. 
Viele Jahrhunderte nach seiner ersten Herstellung wurde der 
Wein nur in Verdünnung mit Wasser in mäßigen Mengen und 
bloß bei der Nahrungsaufnahme genossen. Die schiffahrttreibenden 
Phönizier machten besonders die Egypter und Griechen mit der 
Weinkultur bekannt. Beide Völker tranken außerhalb der Mahl¬ 
zeiten nur bei besonderen Festlichkeiten. Die Trunkenheit ward als 
Laster angesehen; Wirtshäuser gab es nicht. Junge Männer und 
Frauen durften nicht mittrinken. Griechische Auswanderer brachten 
die Weinkultur nach Italien; dort war es lange ebenso. Erst im 
späteren Rom verbreitete sich, jedoch nur in den reichen Ständen, 
die Trunksucht. Aber die Alkoholfrage entstand, als sich die Kultur¬ 
unsitten der Römer auch zu den sogenannten Barbaren fortpflanzten 
(die aber an sittlicher Kultur meist weit höher standen, wie Tacitus 
von den Germanen bezeugt). Die Naturvölker gewöhnten sich den 
Alkoholgenuß rasch an, ja übertrafen schließlich in der Vertilgung 
berauschender Getränke die Römer selbst. In allen Ländern des 
römischen Reiches verbreitete sich die Unsitte, Wein solange zu trinken, 
bis sich Trunkenheit einstellte. Zur Zeit Christi war die Trunksucht 
noch so gut wie unbekannt; erst Mohammed nahm gegen sie Stellung. 
Aber gerade von den Mohammedanern ging eine Entdeckung 
aus, die der Weiterentwicklung des Alkoholmißbrauches besonders 
förderlich wurde. Arabische Ärzte stellten zu Heilzwecken durch 
Destillation aus dem Wein den Branntwein her. Die geschätzte 
Arznei verbreitete sich bald auch im Abendlande. Aber erst in der 
Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Herstellung des Brannt¬ 
weins aus Korn entdeckt und von den Söldner-Heeren im dreißig¬ 
jährigen Krieg (1618—1648) weit verbreitet. Die falsche Vorstellung, 
der Branntwein gebe Kraft und erhalte gesund, trug am meisten 
zu seiner Verbreitung bei. Mit der größeren Billigkeit stieg der 
Verbrauch des Schnapses derart, daß er schließlich neben der Kartoffel 
die „Hauptnahrung" vieler Arbeiter wurde. 
Unabhängig vom Branntwein hatte sich inzwischen der Wein 
bis an die Grenzen verbreitet, die das Klima seiner Kultur setzte,
	        
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