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48. Ter Fjord.
Aus »Norwegische See- und Bergstimmungen" von Heinrich Hart.
Blauer Himmel, grüne Flut. Aber dies Grüne hat nichts
von dem organischen Grün der Wälder und Wiesen, es gleicht weder
dem dunklen Grün der Fichten noch dem Lichtgrün der jungen
Saat. Weit eher erscheint es von mineralischer Art und wie ein
geschliffener Stein reflektiert es alle Färbungen, alle Beleuchtungen
der Umwelt, saugt alles Licht und Dunkel in sich ein und ver¬
schmilzt es mit seiner Eigenheit. Wenn ein sonniger Morgen
niederglänzt, gleißt und schillert das Wasser wie Smaragd; wenn
ein leichter Nebel die Berge verschleiert, wird es welkgrün und
trüb wie Olivin; je dichter die Wolken sich häufen, desto matter,
stumpfer, aschfahler wird das Grün; nach rauschenden Gewittern
erscheint es wie neubelebt, wie durchsättigt mit neuer Kraft, wie
schwarzgrüner Samt schimmert dann die Flut. Und wie ein Opal
leuchtet und glimmert sie von Goldgrün und Purpurgrün, wenn
die Abendsonne ihre Glut wie Fittiche über das Wasser hinbreitet.
Ein breiter Strom zwischen ragenden Bergmauern — so drängt
sich der Fjord ins Land hinein, ein Kind des Meeres, das aber
den wesentlichen Charakterzug der großen See eingebüßt hat: die
Unendlichkeit. Und doch hat der Fahrende keinen Augenblick das
Gefühl, auf einem Süßwasserstrom dahinzugleiten. Diese breit¬
schwellenden Wogen, diese braungrünen Tanginseln, buntgeäderten
Quallen, diese zahllosen Muscheln, die vom Grunde heraufschimmern,
dann und wann ein Schwarm plätschernder Delphine — das alles
mahnt immer wieder an das ewige Meer. Aber die Eigenart
des Fjords wird weniger durch seine Flut bestimmt als durch
die Berge, die zu beiden Seiten ihn umlagern, einschnüren, um¬
fassen, als ob das Land in ihnen gewaltige Vorposten hingestellt
hätte, dem Meere das weitere Eindringen zu wehren. Nicht das
Bild ist die Hauptsache, sondern der Rahmen, ein Rahmen, an
dem Jahrmillionen geschaffen, ihn geschnitzelt, ziseliert, gefräst,
gemeißelt haben, und mit immer neuen, wechselreichen Formen und
Farben das Auge fesselnd, ob die Berge nun sich hinziehen, mit
Urwald überdeckt, oder auf sanftgeneigten Hängen Felder und
Wiesen sich breiten, aus denen hier und da ein rotes Holzhaus,
eine weiße Kirche sich emporhebt, oder ob die Felsen nackt und
grau und schwarz aufstarren wie zyklopische Mauern, wie Burgen
und Kastelle oder wie Ruinen der Urzeit, zerfurcht, zermorscht, ver¬
wittert. Und überall rinnen, schäumen, rauschen Gewässer nieder
zum Fjord, mit weißem Gischt durch die Wälder ihren Weg brechend
oder am nackten Hang sich herabstürzend über Klippen und Blöcke
mit tobendem Ungestüm, hier im Einzelstrom mit breiter, donnern¬