Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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Tübingen zu seinem Schüler Ludwig Uhland, als der ihm wieder eine 
größere Anzahl lateinischer Verse zum Nachsehen überreichte. 
Der sehr begabte Knabe war der dritte Sohn des Universitäts¬ 
sekretärs Johann Friedrich Uhland und wurde am 26. April 1787 in 
Tübingen geboren. Vom Vater erbte er den Ernst, der in späteren 
Jahren einen hervorstechenden Zug in seinem Charakter bildete, und 
von der Mutter das sinnige Gemüt, das sich in dem blauen, treuen 
Auge des Kindes widerspiegelte. In den ersten Knabenjahren soll 
Ludwig ein ziemlich wilder Junge gewesen sein, der sich gern im 
Freien umhertummelte. Kein Graben war ihm zu breit, er mußte 
hinüberspringen, und keine Treppe zu hoch, er mußte hinunterspringen. 
Während der Badezeit im Sommer schwamm er fleißig im Neckar und im 
Winter fuhr er als gewandter Schlittschuhläufer über die glatte Eisfläche 
hin. Stellte sich an kalten Tagen Husten ein, so suchte er ihn im Zimmer 
zu unterdrücken, damit ihm das Hinausgehen nicht untersagt wurde. 
Ein lieber Aufenthalt waren ihm die mit allerlei altem Gerümpel 
angefüllten Kammern in dem geräumigen Hause seines Großvaters, des 
Vaters seiner Mutter. Da gab es alte Hausgeräte, Kleider, Perücken, 
Waffen, Bücher mit wunderbaren Bildern, Reisebeschreibungen von 
Ländern, wo fabelhafte Menschen wohnten, die nur ein Auge hatten, 
das auf der Stirn saß, oder Menschen mit langem Kranichhalse und 
einem einzigen Beine, dessen Fuß so groß war, daß sie sich im heißen 
Sonnenbrand damit vollständig beschatten konnten, wenn sie sich auf 
den Rücken legten und das Bein in die Höhe hielten. In diese Bücher 
konnte er sich so vertiefen, daß des Großvaters alte Haushälterin ihn 
ans Nachhausegehen erinnern mußte. 
Auf den Wunsch des Vaters widmete Uhland sich dem Studium 
der Rechtswissenschaft und bezog die Universität in seiner Vaterstadt 
Tübingen. Von kostspieligen, rauschenden Studentenvergnügungen hielt 
er sich fern und benutzte das ihm nicht reichlich zugemessene Taschen¬ 
geld lieber zur Anschaffung guter Bücher. Neben seinem Fachstudium 
beschäftigte er sich auch mit fremden Sprachen und besonders mit der 
altdeutschen Sprache und den älteren volkstümlichen deutschen Dichtungen. 
Mächtig war der Eindruck, den das Nibelungenlied auf ihn machte. 
Aus Büchern und aus dem Munde des Volkes sammelte er alte 
Volkslieder. 
Mit gleichstrebenden Altersgenossen, zu denen vornehmlich Justinus 
Kerner und Gustav Schwab gehörten, verband er sich zu einem ge- 
selligen Kreise, in dem sie sich gegenseitig ihre Gedichte zur Beur¬ 
teilung vorlasen. Diese gemeinsame Arbeit entwickelte Uhlands poetisches 
Talent in wenigen Jahren von der Stufe schülerhafter Versuche zur 
lichten Höhe gereifter, selbständiger Dichtungen. Als er 18 Jahre alt 
war, entstanden schon einige seiner tiefsten, klangreichsten Lieder, wie: 
„Droben stehet die Kapelle", „Ich bin vom Berg' der Hirtenknab'",
	        
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