Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

1. Amyntas. 
Salomón Geßner. 
Bei frühem Morgen kam der arme Amyntas aus dem 
dichten Hain, das Beil in seiner Rechten. Er hatte sich Stäbe 
geschnitten zu einem Zaun und trug ihre Last gekrümmt auf der 
Schulter. Da sah er einen jungen Eichbaum neben einem hin¬ 
rauschenden Bach. Der Bach hatte wildrauschend seine Wurzeln 
von der Erd' entblößt und der Baum stand traurig da und drohte 
zu sinken. „Schade," sprach er, „solltest du Baum in dies wilde 
Wasser stürzen! Nein, dein Wipfel soll nicht zum Spiel seiner 
Wellen hingeworfen sein!" Jetzt nahm er die schweren Stäbe 
von der Schulter. „Ich kann mir andere Stäbe holen," sprach er 
und hub an, einen starken Damm vor den Baum hinzubauen, und 
grub frische Erde. Jetzt war der Damm gebaut und die entblößten 
Wurzeln mit frischer Erde bedeckt und jetzt nahm er sein Beil auf 
die Schulter und lächelte noch einmal, zufrieden mit seiner Arbeit, 
in den Schatten des geretteten Baumes hin und wollte in den Hain 
zurück, um andere Stäbe zu holen; aber die Dryas rief ihm mit 
lieblicher Stimme aus der Eiche zu: „Sollt' ich unbelohnt dich 
weglassen? Gütiger Hirt, sage mir's, was wünschest du zur Be¬ 
lohnung? Ich weiß, daß du arm bist und nur fünf Schafe zur 
Weide führst." „O, wenn du mir zu bitten vergönnst, Nymphe," 
so sprach der arme Hirte, „mein Nachbar Palemón ist seit der Ernte 
schon krank, laß ihn gesund werden!" 
So bat der Redliche und Palemón ward gesund. Aber 
Amyntas sah den mächtigen Segen in seiner Herde und bei seinen 
Bäumen und Früchten und ward ein reicher Hirt; denn die Götter 
lassen die Redlichen nicht ungesegnet. 
2. Vom Segen der Not. 
Aus Justus Mosers „Patriotischen Phantasien". 
„O wenn doch erst Ostern, wenn nur erst der lange Winter 
vorüber wäre!" sagte im vorigen Herbste ein Heuermann zu mir, 
der für sich, seine Frau und sieben Kinder nicht so viel geerntet 
hatte, als er bis Martini gebrauchte, dem sein gesäter Lein nicht 
aufgegangen war und den die vorjährige Teuerung bereits außer¬ 
stand gesetzt hatte, seinem Wirte die letztverschienene Heuer zu 
bezablen. 
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