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heit, trotz der biedern Gastfreundschaft 'der Bewohner und der Schönheit
ihrer Natur. Es mangelt der Hintergrund einer lebendigen
Stadtwelt, welcher durch seinen Gegensatz den Reiz des Landlebens
nicht blos erhöht, spndern im Grunde erst erzeugt.
Einen überraschenden und alle Erwartung übertreffenden Eindruck
machte auf mich Böhmens Hauptstadt. Mit Prag möchten sich von den
deutschen Städten wenige an Schönheit und Eigenthümlichkeit der Lage
messen können. Wenn man von dem Plateau des Weißen Berges hier
in das hochgelegene Burgviertel der Stadt, den H r a d s ch i n, vorschreitet
auf den Vorsprung, der jäh zum Moldauthale abfällt, und dann von
dieser Bergstadt herab auf einmal tief unter sich eine noch viel größere
Flußstadt erblickt, ein Meer von Häusern und Palästen, aus dessen
Wogen eine zahllose Menge von Kirchen, Thürmen und Kuppeln wie
Schiffe mit ihren Masten hervorragen: so ist das fast ein orientalisches
Bild, großartig und prächtig. Zu den Füßen schlängelt sich die breite,
stattliche Moldau, welche tief in die Hochfläche sich hineingegraben und
Malerische Hügelreihen an ihren Ufern gebildet hat. Dort erhebt sich
der schroffe Ziskaberg, auf welchem die Hussiten 1420 ihren ersten Sieg
erfochten; und weit im Hintergründe der feste Wyschehrad, pittoresk das
Gemälde begrenzend. Wendel man sich um, so hat man die Ansicht des
großen königlichen Schlosses, das die kaiserliche Hofburg zu Wien noch
an Größe übertrifft; daneben das prächtige erzbischöfliche Palais, rechts
aber die ehrwürdige gothische Kathedrale, der Dom von St. Veit (leider
unvollendet) mit seinem himmelanstrebenden Thurme. Auf der entgegen¬
gesetzten Seite das reiche Prämonstratenserstift Strahow mit seiner schö¬
nen Kirche, und dahinter auf einem mit Wein - und Obstgärten begrenzten
Hügel die freundliche Laurenzi - Kapelle mit ihren zwei zierlichen Thür-
men; — eine Mannigfaltigkeit der An- und Aussicht, wie sie dem Äuge
selten zu Theil wird. Steigt man sodann hinunter zwischen den hohen
Häusern, die, auf schroffem Abhange erbaut, wie Festungswerke erschei¬
nen, und stellt sich auf die 1790 Fuß lange und 55 Fuß breite alter-
thümliche steinerne Brücke, welche die Altstadt mit der Kleinseite verbindet,
zwischen die 28 Heiligen und Apostel, die, aus Stein gehauen, auf den
Brückenrändern Wache hallen, in der Mitte die bronzene Statue des heil.
Nepomuk, Schutzpatrons von Böhmen, — so hat man wieder einen An¬
blick, wie man ihn weder auf der Dresdner, noch sonst einer Brücke
finden kann: die Ansicht des Hradschin. Gegenüber der steinernen hängt
eine zweite Brücke, kühn über dem breiten Moldauspiegel schwebend, und
zu den alten Bauwerken den Contrast der Neuzeit bildend; es ist die
eiserne Kettenbrücke, ein schönes Denkmal der Baukunst unserer Tage.
Neben ihr, in den Strom gelagert, lacht freundlich das baumbegrenzte
Eiland der Sophieninsel herüber, und weit hinter ihr, in blauer Ferne
verschwimmend, erscheinen wieder die schroffen Ufer der Moldau. Man
bekommt auf der alten Karlsbrücke zugleich den Eindruck alt-christlicher
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