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2. Die Merseburger Zaubersprüche (9. Jahrh.).
Quellen: Braune, Altd. Lesebuch 4 Halle 1897. Bötticher u. Kinzel, Denkmäler der älteren
deutschen Literatur 6 I, 1. Halle 1899.
I. Spruch zur Befreiung eines Gefangenen.
Eiris Säzun idisi1) Säzun hera duoder.
Einst saßen Jdise, saßen nieder hier und dort.
suma hapt heptidun, suma heri lezidun,
Die hefteten Hafte, die hemmten das Heer,
suma Clübodun umbi Cuoniouuidi:
die klaubten an den (Knie-) Fesseln:
insprinc haptbandnn, invar vigandun!
Entspring den Banden, entfleuch den Feinden!
II. Spruch pur Heilung einer Äeinverrcnkung.
I*llol2) ende Uuodan Vuoren zi holza.
Bol und Wodan fuhren zu Holze.
du nuart derno Lalderes Volon sin Vuoz birenkit.
Da ward dem Balders Fohlen sein Fuß verrenket.
tbü biguolen Sinthgunt3), Sunna era suister;
Da besprach ihn Sinthgunt, der Sun ihre Schwester;
tbü biguolen Friia, Yolla4) era suister;
da besprach ihn Frija, der Bol ihre Schwester;
5 tbü biguolen Uuodan, so he Ullola conda:
da besprach ihn Wodan, wie er es wohl konnte:
8086 benrenki, sose bluotrenki,
Sei's Beinverrenkung, sei's Blutverrenkung,
sose lidirenki:
sei's Gliederverrenkung:
ben zi bena, bluot zi bluoda,
Bein zu Beine, Blut zu Blute,
lid zi geliden, sose gelimida sin.
Gelenk zu Gelenken, als ob sie geleimt seien.
II. Geistliche Dichtung.
1. Das Wessobrunner Gebet (8. Jahrh.).
Quelle»: Braune, Altd. Lesebuch 4 Halle 1897. Piper, Die älteste deutsche Literatur sKürschner,
Deutsche Nationallit. Bd. 1. Berlin u. Stuttgart (o. I.)).
Dat *7<%fregin ih mit firahim firiuuizzo meista,
Das erfuhr ich unter (den) Menschen (als der) Wunder größtes,
dat ero ni uuas noh Üfhimel,
daß Erde nicht war noch Überhimmel,
noh paum noh pereg ni uuas,
noch Baum noch Berg (nicht) war,
ni .... nohheinig noh sunna ni seein,
nicht .... kein noch (die) Sonne (nicht) schien,
1) idisi, Walküren (weiße Frauen). 2) Phol, Balder. 3) Sinthgunt, Schwester der Sun
(Morgen- und Abendsterns?)). 4) Volia, Göttin der Fülle, Schwester der Frija.