Full text: Von Vulfila bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Hälfte 1, [Schülerband])

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Ich bin weder Schauspieler noch Dichter. 
Man erweiset mir zwar manchmal die Ehre, mich sür den letztern zu erkennen. Aber 
nur, weil man mich verkennt. Aus einigen dramatischen Versuchen, die ich gewagt habe, 
sollte man nicht so freigebig folgern. Nicht jeder, der den Pinsel in die Hand nimmt und 
Farben verquistet, ist ein Maler. Die ältesten von jenen Versuchen sind in den Jahren 
hingeschrieben, in welchen man Lust und Leichtigkeit so gern für Genie hält. Was in den 
neuerem Erträgliches ist, davon bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig und allein der 
Kritik zu verdanken habe. Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigene 
Kraft sich emporarbeitet, durch eigene Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen 
aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir heraufpressen. Ich würde 
so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze 
bescheiden zu borgen, an fremdem Feuer mich zu wärmen und durch die Gläser der Kunst 
mein Auge zu stärken. Ich bin daher immer beschämt oder verdrießlich geworden, wenn 
ich zum Nachteil der Kritik etwas las oder hörte. Sie soll das Genie ersticken, und ich 
schmeichelte mir, etwas von ihr zu erhalten, was dem Genie sehr nahe kömmt. Ich bin 
ein Lahmer, den eine Schmähschrift auf die Krücke unmöglich erbauen kann. 
Doch freilich, wie die Krücke dem Lahmen wohl hilft, sich von einem Orte zum andern 
zu bewegen, aber ihn nicht zum Läufer machen kann, so auch die Kritik. Wenn ich mit 
ihrer Hülse etwas zu stände bringe, welches besser ist, als es einer von meinen Talenten 
ohne Kritik machen würde, so kostet es mich so viel Zeit, ich muß von andern Geschäften 
so frei, von unwillkürlichen Zerstreuungen so ununterbrochen sein, ich muß meine ganze Be¬ 
lesenheit so gegenwärtig haben, ich muß bei jedem Schritte alle Bemerkungen, die ich jemals 
über Sitten und Leidenschaften gemacht, so ruhig durchlaufen können, daß zu einem Arbeiter, 
der ein Theater mit Neuigkeiten unterhalten soll, niemand in der Welt ungeschickter sein 
kann als ich. . . 
Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da 
wir Deutsche noch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern 
bloß von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sei, keinen eigenen haben 
zu wollen. Wir sind noch immer die geschwomen Nachahmer alles Ausländischen, beson¬ 
ders noch immer die untertänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen; alles, 
was uns von jenseit dem Rheine kömmt, ist schön, reizend, allerliebst, göttlich; lieber ver¬ 
leugnen wir Gesicht und Gehör, als daß wir es anders finden sollten; lieber wollen wir 
Plumpheit für Ungezwungenheit, Frechheit für Grazie, Grimasse für Ausdruck, ein Ge- 
klingle von Reimen für Poesie, Geheule für Musik uns einreden lassen als im geringsten 
an der Superiorität zweifeln, welche dieses liebenswürdige Volk, dieses erste Volk in der 
Welt, wie es sich selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt, in allem, was gut und schön 
und erhaben und anständig ist, von dem gerechten Schicksale zu seinem Anteile erhalten 
hat. — .. 
Ich war also genötiget, anstatt der Schritte, welche die Kunst des dramatischen Dich¬ 
ters hier wirklich könnte getan haben, mich bei denen zu verweilen, die sie vorläufig tun 
müßte, um sodann mit eins ihre Bahn mit desto schnellern und größern zu durchlaufen. 
Es waren die Schritte, welche ein Irrender zurückgehen muß, um wieder auf den rechten 
Weg zu gelangen und sein Ziel gerade in das Auge zu bekommen. 
Seines Fleißes darf sich jedermann rühmen: ich glaube die dramatische Dichtkunst 
studiert zu haben, sie mehr studiert zu haben als zwanzig, die sie ausüben. Auch habe ich 
sie soweit ausgeübet, als es nötig ist, um mitsprechen zu dürfen; denn ich weiß wohl, so¬ 
wie der Maler sich von niemanden gern tadeln läßt, der den Pinsel ganz und gar nicht
	        
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