5. Kapitel: Rückblick auf die Kulturzustände ic. 279 
menschlichen Natur entwickelte sich ein Kultus der Menschlich¬ 
keit Humanität, welcher dem Christentume insofern entgegentrat, 
als er ein Kultus des „natürlichen Menschen" war und die Notwendig- 
feit der Erlösung und Heiligung nach christlicher Lehre leugnete. Das 
Christentum dagegen kennt die wahre Humanität, d. t. dte wahre 
Bruderliebe, nur als Frucht der christlichen Heilsthatsachen und hat sie 
so zuerst in ihrer Vollkommenheit in die Weltgeschichte eingeführt. 
Die Durchdringung der Massen mit dieser christlichen Humanität konnte 
die christliche Kirche aber nur allmählich bewirken, und es hat die 
sichtbare Kirche in ihrer Verflechtung mit der Welt engherzig und 
herrschsüchtig dieselbe zeitweis sogar verleugnet. Dieser Erscheinung 
gegenüber vergaßen manche Wortführer der Humanität, daß das 
Christentum doch zuerst die Anerkennung der Menschenwürde für alle 
ohne Unterschied verkündet hat. Wenn sie hierbei aber jegliche Ver¬ 
folgung um der Religion und des Bekenntnisses willen, jegliche Standes- 
Ungleichheit vor Gericht und barbarische Gebräuche im Gerichtsverfahren, 
Sklaverei und Sklavenhandel unermüdlich öffentlich tadelten, wenn fte 
alle, die das humane Gefühl beleidigten, der Verachtung des aufge- 
klärten Europa preisgaben, so beförderten sie dadurch doch einen wirk- 
lichm Fortschritt. Die religiöse Toleranz wurde eine förmliche 
Leidenschaft des Zeitalters der Aufklärung, wie die hierin tonangebende 
Regierung Friedrichs des Großen, noch stärker die Reformbestrebungen 
Josephs II. zeigen. Lessing Predigt in „Nathan dem Weisen" die 
Toleranz einer über den geschichtlichen Religionen stehenden Religiosität, 
da nach seiner bekannten Parabel von den 3 Ringen der „echte Ring, 
die wahre Religion, verloren gegangen sei. Der Freimaurerorden, 
begründet im protestantischen England 1717, und der Orden der Jllu- 
minaten, entstanden 1777 im katholischen Baiern, vereinigten nach 
Art des Jesuitenordens überall „aufgeklärte Brüder," die über den 
bestehenden Religionsbekenntnissen erhaben sein und unter geheimms- 
vollen Eeremonien das neue Evangelium der Humanität verwirklichen 
wollten. Auch die katholische Kirche blieb von der auf pro- 
testantischem Boden entstandenen Richtung der humanistischen 
Abschwächung konfessioneller Unterschiede nicht unberührt. 
Katholische Kirchenfürsten in Deutschland, seit langer Zeit nur noch 
Söhne vornehmer Adelsfamilien oder regierender Häuser, führten in 
den von ihnen regierten Landschaften alle solche Verbesserungen ein, 
welche Erzeugnisse des aufgeklärten protestantischen Geistes waren, es 
lockerte dies das Band, das sie an Rom feffelte, und in der soge¬ 
nannten „Emser Punktation" vereinigten sich die Erzbischöfe von 
Mainz, Trier, Köln und Straßburg, um die Eingriffe des päpstlichen 
Stuhles in die Selbständigkeit der deutschen Kirchenfürsten zu beseitigen, 
und sie erhoben fast dieselben Beschwerden gegen Rom, welche auf den 
Kirchenversammlungen zu Kostnitz und Basel (II, § 107 u. 109) laut 
geworden waren. Zu derselben Zeit forderten die katholischen Mächte 
selbst die Aufhebung des JesutTnTöTiren 17 oesim Grundsätze
	        
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