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42. Gruben bei Klaustal.
Von H. Heine (1799-1856).
Das Befahren der zwei vorzüglichsten Klaustaler Gruben, der „Dorothea"
und „Karolina", fand ich sehr interessant, und ich muß ausführlich davon erzählen.
Eine halbe Stunde vor der Stadt gelangt man zu zwei großen, schwärzlichen
Gebäuden. Dort wird man gleich von den Bergleuten in Empfang genommen. Diese
tragen dunkle, gewöhnlich stahlblaue, weite, bis über den Bauch herabhängende
Jacken, Hosen von ähnlicher Farbe, ein hinten aufgebundenes Schurzfell und kleine,
grüne Filzhüte, ganz randlos wie ein abgekappter Kegel. In eine solche Tracht,
bloß ohne Hinterleder, wird der Besuchende ebenfalls eingekleidet, und ein Berg¬
mann, ein Steiger, nachdem er sein Grubenlicht angezündet, führt ihn nach einer
dunkeln Öffnung, die wie ein Kaminfegeloch aussieht, steigt bis an die Brust hinab,
gibt Regeln, wie man sich an den Leitern festzuhalten habe, und bittet, angstlos zu
folgen. Die Sache selbst ist nichts weniger als gefährlich; aber man glaubt es nicht
im Anfang, wenn man gar nichts vom Bergwerkswesen versteht. Es gibt schon eine
eigene Empfindung, daß man sich ausziehen und die dunkle Deliquententracht
anziehen muß. Und nun soll man auf allen Bieren hinabklettern, und das dunkle
Loch ist so dunkel, und Gott weiß, wie lang die Leiter sein mag. Aber bald merkt
man doch, daß es nicht eine einzige, in die schwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter
ist, sondern daß es mehrere von fünfzehn bis zwanzig Sprossen sind, deren jede auf
ein kleines Brett führt, worauf man stehen kann, und worin wieder ein neues Loch
nach einer neuen Leiter hinableitet. Ich war zuerst in die Karolina gestiegen. Die
Leitersprossen sind kotig-naß. Und von einer Leiter zur anderen geht's hinab und
der Steiger voran, und dieser beteuert immer, es sei gar nicht gefählich; nur müsse
man sich mit den Händen fest an den Sprossen halten und nicht nach den Füßen
sehen und nicht schwindelig werden und nur bei Leibe nicht auf das Seitenbrett
treten, wo jetzt das schnurrende Tonnenseil heraufgeht und wo vor vierzehn Tagen
ein unvorsichtiger Mensch hinuntergestürzt und leider den Hals gebrochen. Da unten
ist ein verworrenes Rauschen und Summen. Man stößt beständig an Balken und
Seile, die in Bewegung sind, um die Tonnen mit geklopften Erzen oder das hervor¬
gesinterte Wasser heraufzuwinden. Zuweilen gelangt man auch in durchgehauene
Gänge, Stollen genannt, wo man das Erz wachsen sieht, und wo der einsame
Bergmann den ganzen Tag sitzt und mühsam mit dem Hammer die Erzstücke aus
der Wand herausklopft. Bis in die unterste Tiefe bin ich nicht gekommen; unter
uns gesagt, dort bis wohin ich kam, schien es mir bereits tief genug — immer¬
währendes Brausen und Sausen, unheimliche Maschinenbewegung, unterirdisches
Quellengeriesel, von allen Seiten herabtriefendes Wasser, qualmig aufsteigende Erd¬
dünste und das Grubenlicht immer bleicher hineinflimmernd in die einsame Nacht.
Wirklich, es war betäubend, das Atmen wurde mir schwer, und mit Mähe hielt ich
mich an den glitscherigen Leitersprossen. Ich habe keinen Anflug von sogenannter
Angst empfunden; aber seltsam genug, dort unten in der Tiefe erinnerte ich mich,
daß ich im vorigen Jahre ungefähr um dieselbe Zeit einen Sturm auf der Nordsee
erlebte, und ich meinte jetzt, es sei doch eigentlich recht traulich-angenehm, wenn das
Schiff hin- und herschaukelt, die Winde ihre Trompeterstückchen. losblasen, zwischen¬
drein der lustige Matrosenlärm erschallt und alles frisch überschauert wird von Gottes
lieber, freier Luft. Ja Luft! Nach Luft schnappend, stieg ich einige Dutzend Leitern
wieder in die Höhe, und mein Steiger führte mich durch einen schmalen, sehr
langen, in den Berg gehauenen Gang nach der Grube Dorothea. Hier ist es luftiger
und frischer, und die Leitern sind reiner, aber auch länger und steiler als in der
Karolina. Hier wurde mir auch besser zu Mute, besonders da ich wieber Spuren