Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminarien

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5. Die Geister vom Mummclsce. 
1. Vom Berge was kommt dort um Mitter¬ 
nacht spät 
Mit Fackeln so prächtig herunter? 
Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht? 
Mir klingen die Lieder so munter. 
O nein! 
So sage, was mag es wohl sein? 
2. Das- was du da siehest, ist Totengeleit, 
Und was du da hörest, sind Klagen; 
Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid, 
Und Geister nur sind's, die ihn tragen. 
Ach wohl! 
Sie singen so traurig und hohl. 
3. Sie schweben hernieder ins Mummelseetal, 
Sie haben den See schon betreten, 
Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal, 
Sie schwirren in leisen Gebeten. 
O schau' 
Ain Sarge die glänzende Frau! 
4. Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor; 
Gib acht, nun tauchen sie nieder! 
Es schwankt eine lebende Treppe hervor, 
Und — drunten schon summen die Lieder. 
Hörst du? 
Sie singen ihn unten zur Ruh. 
5. Die Wasser wie lieblich sie brennen und 
glühn! 
Sie spielen in grünenden! Feuer; 
Es geisten die Nebel ani Ufer dahin, 
Zum Meere verzieht sich der Weiher. 
' Nur still! 
Ob dort sich nichts rühren will? 
6. Es zuckt in der Mitten — o Hinimel! ach hilf! 
Ich glaube, sie nahen, sie kommen! 
Es orgelt im Rohr, und es klirret im Schilf; 
Nur hurtig die Flucht nur genommen! 
Davon! 
Sie wittern, sie haschen mich schon. 
5. Ich. Ghr. Friedrich Köldertin (1770-1843) 
wurde 1770 zu Lausten am Neckar geboren. Traurige Erfahrungen in seiner frühesten 
Jugend (— er verlor als zweijähriger Knabe den Vater und nach der Wiederver¬ 
heiratung der Mutter bald nachher auch den Stiefvater —), eine unglückliche Anlage 
feines Gemüts und vielfach vergebliche Versuche, eine feste Lebensstellung zu erlangen, 
erzeugten in ihm einen Trübsinn, der den traurigen Ausgang seines Lebens ahnen 
ließ. In feinem schönen Naturgemälde „Der Wanderer", welchem das in unserm 
Lesebuch enthaltene Bruchstück „Rückkehr in die Heimat" (vergl. III, Nr. 35) ent¬ 
nommen ist, läßt er uns einen Blick in sein seelisches Leben tun. Mit ganz besonderer 
Wärme schildert er, wie der seit langer Zeit ferngewesene „Flüchtling" enttäuscht 
aus der Fremde in das „selige Land der glücklichen Heimat" zurückgekehrt und auf 
der Heimwanderung ins Vaterhaus durch den Anblick des stillen Glücks der schönen 
vaterländischen Natur fühlt und erkennt, daß nur die Heimat das Land des in der 
Fremde vergeblich gesuchten Friedens ist. Er kehrt „getreuer und weiser" zurück 
und hofft, unter der milderen heimatlichen Sonne „friedlich zu werden und 
froh unter den Blumen zu ruhn". Doch dieser Friede war ihm nicht beschert. 
Von 1802 an war seine Seele umnachtet. In der Irrenanstalt zu Tübingen beschloß 
er als einer der begabtesten, aber auch unglücklichsten Dichter 1843 sein Leben. 
Hölderlin hatte eine große Vorliebe für das alte Griechenland. Davon gibt 
das untenstehende Gedicht „Der Tod fürs Vaterland" ein sehr deutliches Zeugnis. 
Meisterhaft beherrschte er die dichterische Form, namentlich das seit Klopstock, Ew. 
v. Kleist, Voß und Goethe zuerst angewendete griechische Versmaß des Hexameters. 
Zweifellos hat er für die Verdeutschung der antiken Form weit mehr getan als Platen. 
1. Der Tod fürs Vaterland. 
1. Du kommst, o Schlacht, schon wogen die 
Jünglinge 
Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal, 
Wo keck herauf die Würger dringen, 
Sicher der Kunst und des Arms; doch sichrer 
2. Kömmt über sie die Seele der Jüng¬ 
linge; 
Tenn die Gerechten schlagen wie Zauberer 
Und ihre Vaterlandsgesänge 
Lähmen die Kniee der Ehrelosen.
	        
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